Nach dem Vorbild skandinavischer und angloamerikanischer Länder sollen auch in Deutschland Schulgesundheitsfachkräfte zum Einsatz kommen. Dies fordert eine Allianz medizinischer Fachgesellschaften zum Weltkindertag am 20. September 2021, um die Bildungs- und Gesundheitsbiografien chronisch kranker Kinder, etwa mit Diabetes mellitus Typ 1, zu verbessern und die Inklusion zu fördern. Spezialisierte Pflegekräfte können Eltern und Lehrer entlasten und auch bei Suchtproblemen, Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung frühzeitig Hilfestellung leisten.
Jährlich erkranken hierzulande derzeit rund 3.500 Kinder und Jugendliche neu an einem Typ-1-Diabetes, immer mehr bereits im Vorschulalter. Obwohl die Versorgung diabeteskranker Kinder dank moderner Insulinpumpen und kontinuierlicher Glukosemessung einfacher geworden ist, benötigen die kleinen Patientinnen und Patienten im Grundschulalter punktuell Unterstützung. "Den Insulinbedarf an Sport und Spiel, an Lernstress und Schulessen anzupassen, ist eine komplexe Herausforderung, die sie oft noch nicht allein meistern können", betont DDG Präsident und Kinderdiabetologe Professor Dr. med. Andreas Neu. Lehrkräften fehle das medizinische Wissen, um zu unterstützen.
Aus diesem Grund plädieren DDG und die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) in der DDG gemeinsam mit diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) sowie dem Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e. V. (BeKD) für die flächendeckende Etablierung von Schulgesundheitsfachkräften. "Gesundheitsfachkräfte können chronisch kranke Kinder im Schulalltag kompetent begleiten", erläutert AGPD Sprecher Dr. med. Thomas Kapellen. In einem Positionspapier fordern die Experten Verantwortliche in Gesundheits- und Kultuspolitik auf, in einem ersten Schritt alle öffentlichen und privaten Grundschulen verbindlich mit einer Gesundheitsfachkraft auszustatten.
In skandinavischen und angloamerikanischen Ländern sind seit Jahren spezialisierte Pflegekräfte in Schulen tätig, die als "school nurses" Kinder und Jugendliche in allen gesundheitlichen Angelegenheiten betreuen. Studien bestätigen, dass alle Beteiligten der Schulgemeinde davon profitieren. Auch in Deutschland sind zwei Modellprojekte in Brandenburg und Hessen evaluiert worden. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Einrichtung von Gesundheitsfachkräften an Schulen machbar und ökonomisch sinnvoll ist und empfiehlt als Orientierungsrahmen einen Schlüssel von 1:700. "An jeder Schule sollte eine Gesundheitsfachkraft tätig sein", so Kapellen.
Denn deren Einsatz zahlt sich aus. So kam es in Brandenburg und Hessen zu weniger Unfällen und Rettungswageneinsätzen sowie zu geringeren Behandlungskosten. "Für Kinder mit Diabetes Typ 1 bedeutet dies: verbesserte Glukoseeinstellung, weniger Notfallsituationen, weniger Fehlzeiten und Ausgrenzung, eine insgesamt positivere Lebensperspektive", erläutert Neu. Schulgesundheitsfachkräfte trügen zudem stark zur Entlastung von Lehrern und Eltern bei, die sonst wegen der Krankheit ihres Kindes häufig ihre Berufstätigkeit einschränken müssen.
Schulgesundheitsfachkräfte nicht nur chronisch kranke Kinder. "Sie leisten Erste Hilfe, sind Anlaufstelle bei Schmerzen und Vertrauensperson bei gesundheitlichen und psychischen Auffälligkeiten, sie beraten Kinder und Eltern zu Sucht, Ritzen, Stress, in Krisensituationen oder in Ernährungsfragen, melden den Verdacht auf Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung", erklärt Prof. Jörg Dötsch, Präsident der DGKJ. "Wir sollten nicht zögern und Schulgesundheitsfachkräfte für Patient:innen mit Diabetes mellitus und alle anderen chronischen Erkrankungen zügig flächendeckend etablieren. Sie sind eine sehr gute Investition in die Jugend und damit in unsere Zukunft", betont Dötsch.
Zur Finanzierung der Schulgesundheitsfachkräfte sind aus Expertensicht Anstrengungen von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern erforderlich. "Zunächst sollte die Lebenswelt Schule ins Präventionsgesetz aufgenommen werden", erläutert Neu. So könnten die Krankenkassen mit einem Euro pro Versichertem einen Beitrag in Höhe von rund 57 Millionen Euro in einen Fonds einzahlen, der über die Länder an die Schulen weitergegeben werden kann. Auch Länder und Unfallkassen könnten sich beteiligen, der Bund einen "GesundheitsPakt Schule" auflegen oder eine Bundesstiftung "Schulgesundheit" gründen.