Ein Weg auf unbekanntem Terrain kann für Demenzkranke wie eine Odyssee sein. Deshalb wollen ihnen Architekten die Orientierung erleichtern - mit Farbe, Licht und klaren Linien.
Für Menschen mit Demenz kann eine fremde Umgebung zum Labyrinth werden. Wenn sie beispielsweise in ein Krankenhaus müssen, gesellt sich zum üblichen Stress noch die Unsicherheit durch unbekannte Räume und Abläufe. Wer in die Notaufnahme kommt und dann nach einer Operation im Krankenzimmer aufwacht, sieht in der Regel weiße Wände und hat Probleme zu realisieren, wo er eigentlich ist. "Krankenhäuser sind meist informationsarm, der Patient braucht aber Anhaltspunkte", sagt die Dresdner Professorin Gesine Marquardt. Bei Demenz gelte das erst recht.
Marquardts Lehrstuhl an der Technischen Universität Dresden widmet sich seit Jahren der Architektur für Demenzkranke. Es geht um eine Art Bauen gegen das Vergessen. Betroffene brauchen klare Linien, Funktionalität und farbliche Kontraste. Was außerhalb des eigenen Gesichtsfeldes liegt, ist für sie nicht mehr nachvollziehbar. Sie können sich nicht vorstellen, zweimal um die Ecke zu biegen, um ins Bad zu kommen. "Alles, was Betroffene neu erlernen müssen, kann eigentlich nicht funktionieren", sagt Marquardt. Deshalb müsse man an Erinnerungen und noch vorhandene Fähigkeiten anknüpfen.
Mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung hat Marquardt seit 2014 geforscht, wie ein "demenzsensibles" Krankenhaus aussehen muss. Dafür wurden bundesweit fünf Häuser ausgewählt, eines davon in Dresden. "Man denkt ja, ein Krankenhaus ist auf Menschen mit Demenz perfekt vorbereitet, aber dem ist nicht so", erklärt die Architektin. Brisanz bekommt das Thema durch die demografische Entwicklung: Mit immer älter werdenden Menschen erhöht sich auch der Anteil derjenigen, die mit kognitiven Einschränkungen ins Krankenhaus müssen.
In dem Dresdner Krankenhaus wurden nicht nur die Räume verändert, sondern auch Prozessabläufe auf der Station. Zwei weitere Punkte waren ein Training für Angehörige und die Fortbildung des Personals. "Wir haben unter der Maßgabe umgebaut, dass es eigentlich keiner merken darf, wollten so eine Stigmatisierung vermeiden", sagt die Wissenschaftlerin. Denn auf der betroffenen Station gebe es nicht nur Patienten mit Alzheimer. Wichtig sei, dass sich der verstandesmäßige Zustand von Menschen mit Demenz im Krankenhaus nicht weiter verschlechtert. Andernfalls werde im Anschluss oft der Umzug ins Pflegeheim nötig.
"Es geht darum, räumlich Ankerpunkte zu schaffen, an denen sich Menschen mit Demenz sicher fühlen. Sie sollen Orte finden, an denen sie Personal sehen oder sie sich aufhalten können", erklärt Marquardt. Ein "Retro-Stil", bei dem sie sich an ihr früheres Leben erinnern können, bringe im Krankenhaus aufgrund der kurzen Verweildauer nicht viel. Das wäre eher eine Chance für das Pflegeheim. Grundsätzlich sei es aber nicht falsch, mit Gegenständen und Objekten aus der Vergangenheit zu arbeiten. "Wir haben auf unserer Station zum Beispiel einen Oldtimer-Bildband ausgelegt."
Orientierungssysteme schaffen und Räume besser nutzbar zu machen: Mit dieser Formel lässt sich die Herangehensweise der Architekten beschreiben. Der Flur der Station wurde nahe dem Schwesternzimmer an einer Stelle vergrößert und um eine Sitzgelegenheit erweitert. Der Anlaufpunkt wird gut genutzt. Das Personal hat die Patienten im Blick und kann ihnen schnell ein paar nette Worte zurufen. Früher wurden auf dem Flur umherlaufende Demenzkranke aus Gründen ihrer eigenen Sicherheit schnell wieder aufs Zimmer gebracht.
Die Zimmer selbst wirken mit ihrer Holzverkleidung und dem indirektem Licht freundlich. Der Fußboden ist in einem dunklen Farbton gehalten. Marquardt: "So haben wir es geschafft, Stürze zur reduzieren. Vorher war der Kontrast zwischen dem weißen Bett und dem hellen Boden nicht groß genug." Neben den Betten dienen Farbstreifen der Orientierung, nachts hilft eine Lichtleiste beim Gang zu Bad. Die Badtür ist hell, die Zimmertür bleibt im Dunkeln - auf diese Weise können sich Patienten seltener verirren. "Es geht darum, das eigene Bett, den eigenen Schrank oder auch den Weg ins Bad selbstständig zu finden."
Außerdem helfen Bilder mit Dresdner Sehenswürdigkeiten an der Wand. Die gleichen Motive befinden sich an der Außenseite der Zimmertür. Deshalb gibt es jetzt auf der Station ein "Frauenkirchenzimmer" oder ein "Rosengartenzimmer". Nach einer Studie kann Marquardt das neue Wohlgefühl statistisch belegen. Während vor dem Umbau bei einer Beobachtung über 80 Stunden Demenzkranke im Schnitt nur zweieinhalb Stunden auf den Gängen der Station verweilten, sind es nun zwölf Stunden. Die Patienten schauen sich Bücher an, hören in ihrer Nische Musik oder reden miteinander.
Wenn sie nach dem Aufenthalt im Krankenhaus wieder nach Hause kommen, hilft ihnen inzwischen auch Technik - sogenannte Assistenzsysteme - bei der Orientierung. "Wir nehmen das Thema sehr ernst und suchen nach möglichen Modellen für unsere Mitglieder", sagt der Vorsitzende des Verbandes Sächsischer Wohnungsgenossenschaften, Axel Viehweger. Die Genossenschaften möchten, dass ihre Mitglieder mit Demenz möglichst lange und selbstbestimmt in den Wohnungen bleiben können.