Am Donnerstag, 16.01.2020, wird der Deutsche Bundestag über den Gesetzesentwurf zur Regelung der doppelten Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz entscheiden – die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie hofft, dass sich die Mehrzahl der Abgeordneten für diesen Gesetzesentwurf ausspricht. Die Zahl der Menschen, die auf eine Spenderniere warten, ist derzeit fast viermal höher als die Zahl der durchgeführten Nierenübertragungen. "Durch die Einführung der Widerspruchslösung könnte endlich eine Trendwende erreicht werden", so DGfN-Präsident Prof. Dr. Jan C. Galle, Lüdenscheid.
Laut Angaben der DSO gab es 2019 insgesamt 932 OrganspenderInnen, ein Jahr zuvor waren es 955. Damit muss man konstatieren, dass die Zahl weiterhin auf einem extrem niedrigen Niveau geblieben ist und das Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende (GZSO), das am 1. April 2019 in Kraft getreten ist, bisher keine positive Entwicklung hinsichtlich der Spenderzahlen anstoßen konnte. Dieses Gesetz hatte verbesserte infrastrukturelle Bedingungen in den Entnahmekrankenhäusern geschaffen, stärkte beispielsweise die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken. "Dennoch blieb bisher die erhoffte Trendwende aus", erklärte Prof. Dr. Jan C. Galle, Lüdenscheid, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).
Rund 7.500 PatientInnen warten auf eine Nierentransplantation, 2019 konnten jedoch nur 1.500 postmortale Nieren transplantiert werden. "Im Jahr 2010 waren es immerhin noch über 2.000, aber schon damals haben wir einen eklatanten Organmangel beklagt. Nun ist die Situation desolat", so der Nierenexperte. Pro Jahr gibt es im Durchschnitt über 2.500 Aufnamen auf die Warteliste zur Nierentransplantation, im Jahr 2018 waren es 2.692.
Auch wenn die PatientInnen mit einem terminalen Nierenversagen über Jahre und sogar Jahrzehnte mit der künstlichen Blutwäsche (Dialyse) versorgt werden können und keine akute Lebensgefahr besteht, dürfe man sich keiner Illusion hingeben: "PatientInnen an der Dialyse haben eine deutlich geringere Lebensprognose als PatientInnen mit einem Nierentransplantat", erklärte Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Universitätsmedizin Mainz, Pressesprecherin der DGfN und gibt folgende Begründung: "Eine Spenderniere arbeitet rund um die Uhr, entgiftet und entwässert den Körper also kontinuierlich. Die Zentrumsdialyse erfolgt dreimal pro Woche für vier Stunden, zwischenzeitlich ist der Körper stark mit Giftstoffen belastet und mitunter auch extrem überwässert. Es liegt auf der Hand, dass das für den Organismus strapaziös ist. Weltweit sind sich alle Experten einig: Die Nierentransplantation ist die aus medizinischer Sicht bestmögliche Nierenersatztherapie. Leider können wir sie aufgrund des Organmangels nur den wenigsten PatientInnen anbieten – und jährlich müssen wir viele PatientInnen von der Warteliste nehmen, weil sie versterben oder ihr Allgemeinzustand zwischenzeitlich so schlecht geworden ist, dass keine Organtransplantation mehr möglich ist." Insgesamt verstarben fast 900 Menschen im Jahr 2018 auf der Warteliste.
Mit der Einführung der doppelten Widerspruchslösung wären alle BürgerInnen, die keinen Widerspruch einlegen, im Falle seines Hirntods potenziell OrganspenderInnen. In Umfragen sprechen sich über 80% der BürgerInnen pro Organspende aus, von denen aber nur knapp die Hälfte einen Organspendeausweis hat – der Mangel an Spenderorganen ist also nicht Resultat einer generellen Ablehnung, sondern eher einer gewissen Bequemlichkeit. "Was liegt also näher, als die Gesetzgebung diesen Stimmungbild anzupassen? Im Moment müssten 80% der Bevölkerung aktiv werden und ihre Zustimmung dokumentieren – wäre es nicht sinnvoller, dass 20% ihre Ablehnung dokumentierten?", fragte Prof. Galle.
Die Widerspruchslösung würde laut Einschätzung der ExpertInnen zu einem deutlich höheren Organaufkommen führen. Ethische Bedenken sieht die DGfN nicht. "Jeder Bürger hat auch nach Einführung der Widerspruchlösung die Freiheit, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden – und angesichts der desolaten Situation der Menschen auf der Warteliste müssen wir handeln. Durch die Einführung der Widerspruchslösung könnte endlich eine Trendwende erreicht werden."
Der alternative Gesetzesentwurf von Annalena Baerbock (Die Grünen) und Katja Kipping (Die Linke) zielt hingegen darauf ab, die Entscheidungsbereitschaft weiter zu stärken. "Das halten wir für aussichtslos, denn schließlich wurde 22 Jahren lang auf die Wirkung von Informations- und Aufklärungskampagnen gesetzt – wie wir wissen: ohne Erfolg. Es ist gegenüber den Menschen, die Jahr für Jahr auf der Warteliste versterben, unverantwortlich, weiter daran festzuhalten", so Prof. Galle.