Krebs heilen, Zellen programmieren, künstliche Organe züchten, Gene manipulieren, das Leben um 30 Jahre verlängern - das und viel mehr sind derzeit konkrete Forschungsprojekte im Silicon Valley. Zukunftsmedizin oder Zukunftsmusik? Die Frage stellt sich dem Leser des Buches von Spiegel-Autor Thomas Schulz "Zukunftsmedizin - wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern will". Der Autor war zehn Jahre vor Ort und berichtete für den Spiegel fünf Jahre aus dem Silicon Valley. Er sprach u.a. mit Face-Book-Chef Mark Zuckerberg, mit Larry Page, dem Google-Gründer, dem Apple-Chef Tim Cook, aber auch mit der Miterfinderin der CRISPR-Technologie Jennifer Doudner.
esanum fragt Thomas Schulz nach seinen Eindrücken und Einschätzungen.
esanum: Herr Schulz, Sie haben als Spiegel-Korrespondent mit den Silicon-Valley-Größen Cocktails getrunken und ihnen genau zugehört – welchen Eindruck hatten Sie von der Ernsthaftigkeit ihrer medizinischen Ambitionen?
Schulz: Das wird natürlich mit größtem Ernst verfolgt, weil Medizin als wichtigster Beweis gesehen wird, dass künstliche Intelligenz die Zukunftstechnologie schlechthin ist. Sie ist das Feld, auf dem man beweisen will, dass diese Technologie unser Leben revolutionieren wird. Und deswegen steckt man wahnsinnig viel Geld dort hinein. Geld ist ja bekanntermaßen ein deutlicher Indikator, wie ernst man es meint. Und da werden im Moment tatsächlich Milliarden versenkt.
Zum einen wollen sie zeigen: Wir hier im Silicon Valley sind diejenigen, die das machen können, weil wir diese Technologie beherrschen. Und zweitens muss man davor keine Angst haben, denn das ist eine gute Technologie – was sich am ehesten in der Medizin zeigen lässt.
Medizinischer Fortschritt soll beweisen, dass KI, maschinelles Lernen, kluge Maschinen unser Leben verbessern werden. Wenn man neue Krebstherapien entdecken, wirksame Alzheimer-Therapien entwickeln kann, dann wäre das der durchschlagende Beleg dafür, dass wir uns mit diesen Technologien anfreunden können und keine Angst haben müssen vor der KI.
esanum: Es geht um nichts weniger als um eine medizinische Revolution. Hat sie bereits begonnen, ohne dass wir hier im Alltag allzu viel davon bemerken?
Schulz: Es ist sicher so, dass wir das hier als Patient oder als Hausarzt im Alltag nicht so mitbekommen. Aber wenn man z. B. ins Deutsche Krebsforschungszentrum in Heideberg guckt - dort kommen die neuen digitalen Technologien natürlich längst zum Einsatz: Neue Gensequenzierungs-Methoden, neue Anwendungsbereiche für neue Krebstherapien. Diese beruhen ja alle auf Algorithmen, auf lernenden Maschinen und Supersoftware. Das findet hier auch schon alles statt. Nur eben im Kleinen und vieles kommt von dort drüben. Das ist schade. Wir sollten auch selbst in der Lage sein, diese Instrumente zu entwickeln.
esanum: In den USA steckt unvorstellbar viel Geld in der medizinischen Forschung. Kann Deutschland da überhaupt mithalten?
Schulz: Der Abstand ist groß, den kann man nicht aufholen. In der Gesamtmenge fließt dort das Zwanzigfache an Geld. Wenn man hier eine tolle Idee hat, dann kriegt man für die Forschung mit ganz viel Glück eine oder auch zwei Millionen. Dagegen bekommt man dort schnell 50, 100 oder 500 Millionen. Und da ist es offensichtlich, wer schneller zum Ziel kommen wird. Drei Forscher aus der Mayo Klinik haben jetzt zum Beispiel eins der größten Altersforschungs-Start-ups gegründet. Und haben gleich 300 Millionen Dollar dafür von Jeff Bezos, dem Amazon-Gründer, bekommen. Das ist natürlich ein Riesenwettbewerbsvorteil.
Dennoch: Viele kluge Köpfe sind – teilweise aus Prinzip – hiergeblieben. In Mainz und in Tübingen gibt es zum Beispiel ganz tolle Start-ups, die auch international in der Krebsforschung relevant sind. Und doch ist es so: hier sind es vielleicht drei tolle Start-ups und in den USA sind es 300. Deswegen gehen eben viele dort hin, weil die Forschungsmöglichkeiten viel größer sind. Aber auch hier verändert sich viel. Viele aus dem akademischen Bereich bleiben nicht in ihrer Uni-Gruppe, wenn sie eine gute Idee haben, sondern gründen gleich ein eigenes Unternehmen.
esanum: Welche der neuen Forschungsprojekte haben Sie bei Ihren Recherchen am meisten beeindruckt?
Schulz: Am meisten vielleicht das Projekt Grail. Die Forscher versuchen, einen Krebsfrüherkennungstest zu entwickeln. Das ist einerseits eine große medizinische Herausforderung, andererseits aber auch eine Riesen-Rechenaufgabe. Es geht um einen standardisierten Test, der eine sich entwickelnde Krebserkrankung sehr früh erkennen soll, ehe es überhaupt erste Krankheitsanzeichen gibt. So dass man die Krankheit viel früher und leichter bekämpfen könnte. Die Idee und die Größe des Ansatzes haben mich begeistert. Aber die Skepsis, ob das funktioniert, ist natürlich auch groß. Das sind eben Leute, die von der Havard Medical School und anderen großen Uni-Kliniken kommen, die haben einen riesigen Elan – und sie sind der Meinung, dass sie das schaffen können.
Eine zweite sehr beeindruckende Sache ist die Alzheimer-Forschung, wo Experten der meinen, dass man jetzt an einen entscheidenden Punkt kommen kann. Weil sich durch die Gensequenzierung Ansätze zeigen, die man vor ein paar Jahren überhaupt noch nicht kannte. Genau wie man Onko-Gene gefunden hat, hat man hier genetische Indikatoren gefunden, auf die man gezielt Therapien entwickeln kann. Da kommen auch neue Bildgebungsverfahren zum Einsatz, so dass man sehr genau life ins Gehirn schauen kann - was bei Demenzerkrankungen natürlich ein großer Schritt ist.
esanum: Welche der Entwicklungen wird schon bald ganz real auf uns zu kommen?
Schulz: Ich bin ziemlich sicher, dass DNA-Tests standardisiert werden, dass sie künftig so etwas wie ein großes Blutbild sein werden. Wo man bei jeder Erkrankung, bei der man sich nicht ganz sicher ist, heutzutage ein Blutbild macht, so wird es in zwei, drei Jahren Standard sein, dass man sich genetische Informationen einholt. Weil so ein Test nur noch ein paar hundert Euro kostet und er auch nur noch einige Stunden dauert. Dazu arbeiten die Ärztekammern bereits an der entsprechenden Fortbildung. Das ist also schon auf dem Weg. Ich begegne auch vielen jungen Ärzten, die sich stark mit diesen Themen befassen. Ihnen ist klar, dass spannende, aber auch schwere Zeiten auf sie zukommen. Mit einem Studienabschluss wird es nicht mehr getan sein. Man wird sich konstant weiter bilden. Der Arzt wird dem Patienten noch viel mehr helfen müssen, diese digitale Welt zu versehen: Wann man z.B. algorithmische Instrumente einsetzt, welche neuen Analysemethoden es gibt. Welche Daten erarbeitet werden.
esanum: Was glauben Sie, was jetzt konkret zu tun ist, um mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten, um für die Zukunftsmedizin gerüstet zu sein?
Schulz: Wir brauchen viel mehr breite Öffentlichkeit und viel mehr Diskussion. Das ist auch einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe. Wir alle sollten uns damit befassen, dass es ungeheure neue Möglichkeiten gibt. Damit wir diskutieren können, was wir wollen, was wir nicht wollen. Wollen wir direkte Eingriffe ins Erbgut? In welchen Fällen? Wann geht es darum, Krankheit zu heilen, wann ist es ein Eingriff in die Evolution? Dafür muss man erst einmal eine Faktengrundlage haben.
esanum: Ihre Prognose: Wer wird am meisten profitieren? Künftige Patienten oder das Silicon Valley?
Schulz: Es wird auf jeden Fall der Patient sein, weil sich in so vielen Bereichen so vieles tut. Die personalisierte Medizin ist ja ein großer Fortschritt, da man gezielter, treffsicherer behandeln kann.
esanum: Bleiben Sie dran am Thema, werden wir von Ihnen bald mehr erfahren über die Zukunftsmedizin aus dem Silicon Valley?
Schulz: Auf jeden Fall, das Thema ist ein sehr dynamisches. Und viele ethische Fragen werden in den nächsten Jahren immer drängender. Das Buch ist nach China, Japan, Korea, Tschechien verkauft – das zeigt das große internationale Interesse an dem Thema. Und es bleibt spannend.