Michael ist ein Mann im allerbesten Alter. So sieht er sich gern selbst. Seit einiger Zeit jedoch fühlt er sich irgendwie nicht mehr so richtig wohl. Er schläft schlecht, ist müde und gereizt. Auch hat er nur noch wenig Lust auf Sex. Ein Blick in den Spiegel zeigt ihm, dass er langsam aus der Form gerät. Unsere Redaktion und Prof. Dr. med. Frank Sommer, Hamburger Urologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit (DGMG), gehen in diesem Interview gemeinsam auf Spurensuche.
esanum: Herr Prof. Sommer, die Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit e. V. (DGMG) hat unlängst ein kurzes Aufklärungsvideo für Männer herausgebracht. Michael spielt dort eine besondere Rolle. Worum geht es dabei genau und weshalb ist das für andere Ärztinnen und Ärzte in der Praxis interessant?
Sommer: Michael ist in der Tat der Held im neuen Aufklärungsfilm der DGMG zum Thema Testosteronmangel. Es handelt sich dabei um einen der häufigsten Männernamen in Deutschland, weshalb wir uns für diesen entschieden haben. Aber selbstverständlich sind eigentlich alle Männer gemeint – ob Manfred, Karl-Heinz, Sebastian oder Yusuf. Dieser kleine Animationsfilm schafft es, Männern in nicht einmal drei Minuten zu erklären, wie wichtig Testosteron für uns eigentlich ist und mit welchen Maßnahmen ein laborbestätigter Hypogonadismus behandelt werden kann – ein kleines Video für einen Mann, aber dennoch ein weiterer wichtiger Beitrag für die Männergesundheit, wie ich finde. Denn nach wie vor nehmen noch immer zu wenige Männer die Angebote zur Vorsorge wahr. Als Urologinnen und Urologen – oder auch gern als in der Vorsorge tätige Ärzt:innen – sollten wir neue Ansätze, wie kleine Erklärfilmchen, aktiver nutzen, um unsere Zielgruppe für die eigene Gesundheit zu gewinnen.
esanum: Männer wie Michael, die unter einem Testosteronmangel leiden, gibt es ja so einige bei uns. Auch sind die Symptome wie Gereiztheit, Müdigkeit oder fehlende Libido gar nicht so selten, oder?
Sommer: Richtig, wir beobachten in der Praxis tatsächlich sehr häufig Männer in ihren „besten Jahren“, die an einer regelrechten Abgeschlagenheit, an Gemütsschwankungen, aber auch an mangelnder Lust bis hin zu Erektionsstörungen leiden. Auffällig ist, dass der überwiegende Teil dieser Männer weitere Komorbiditäten hat, wie z. B. Adipositas, Hypertonie oder Diabetes mellitus Typ 2. Darüber hinaus findet sich in Deutschland bei jedem 7. Mann auch ein messbarer Testosteronmangel. Fällt der Hormonspiegel unter 12 nmol/l, können Symptome auftreten oder diese sich weiter verstärken. Ab Gesamttestosteron-Werten < 8 nmol/l sprechen wir von einem hypogonadalen Patienten.
esanum: Warum ist es aber so wichtig, die betroffenen Männer in die Praxis zu bekommen und zu diagnostizieren? Mit dem Alter fällt doch der Testosteronspiegel bei jedem Mann langsam ab – ist das nicht der Lauf der Dinge?
Sommer: Ja, das stimmt prinzipiell, aber – und das Aber hier noch einmal mit großem Ausrufezeichen – im Alter zwischen 35 und 40 Jahren beginnt das Altern auch beim Mann. Jedes Jahr verliert er dann natürlicherweise etwa 1% seines Testosterons. Beschleunigt wird dies durch einen ungesunden Lebensstil, z. B. durch zu wenig Schlaf, zu wenig Bewegung, zu kalorienreiches Essen und in der Folge durch Übergewicht. Am Ende leidet der Mann unter einem Testosteronmangel-Syndrom (Hypogonadismus) mit Symptomen wie beispielsweise Müdigkeit, Lustlosigkeit, Erektionsstörungen, Gereiztheit oder sogar Depressionen. Darüber hinaus steigt bei einem Testosteronmangel das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark an. Über diese Zusammenhänge müssen wir Urologinnen und Urologen immer wieder neu informieren. Es ist wichtig, dass Männer mit solchen Symptomen ihren Weg zu uns finden und wir dann eine korrekte Diagnose stellen können. Denn nur ein laborbestätigter Hypogonadismus darf den Leitlinien zufolge mit einem Testosteronersatz therapiert werden. Das Wichtigste für den Arzt in der Praxis ist dabei eigentlich: Der Testosteronwert ist leitlinienkonform an zwei unabhängigen Terminen am Vormittag vor 11 Uhr zu bestimmen. Warum? Nun am Vormittag haben wir Männer naturgemäß höhere Testosteronwerte als später im Tagesverlauf. Sind also diese Vormittagswerte bei einem Mann zweimalig laborbestätigt zu niedrig, liegt sehr wahrscheinlich ein Testosteronmangel (< 12–8 nmol/l) vor. Bei Werten < 8 nmol/l sprechen wir schließlich vom hypogonadalen Patienten mit Therapieindikation in Abhängigkeit von der Symptomlage.
esanum: Was sagt denn die Studienlandschaft zum Thema Testosteronersatz bei symptomatischem Hypogonadismus und Begleiterkrankungen?
Sommer: Was wir bereits wissen, ist, dass Lebensstilveränderungen gepaart mit einer messbaren Gewichtsabnahme u. a. einen Typ-2-Diabetes verhindern oder auch den Bauchumfang verringern können. Allerdings wird das in den seltensten Fällen beim hypogonadalen Mann allein durch die Veränderung des Lebensstils oder der Ernährung zu erreichen sein. Denn, wie wir bereits eingangs sagten, leiden diese Männer an den Folgen des Hormonmangels. In solchen Fällen könnte ein zusätzlicher Testosteronersatz dabei helfen, die Körperfettmasse moderat zu verringern, dabei gleichzeitig den Anteil der Muskelmasse zu erhöhen und das Diabetes-Risiko zu senken. So zeigte etwa die großangelegte australische Testosteron-for-Diabetes-mellitus-Studie (T4DM), dass eine Testosteronbehandlung bei übergewichtigen Männern mit niedrigen Testosteronwerten zusätzlich zu einer Lebensstilmodifikation positive Veränderungen bewirken kann. So verhindert die Testosterongabe bei gestörter Glukosetoleranz bzw. bei einem neu diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 2 die Entstehung eines Diabetes effektiv oder kehrt diese Entwicklung um. Die T4DM-Studie ist somit ein wichtiger Beitrag für die Prävention eines Diabetes bei Männern mit manifestem Hormonmangel. Im Detail heißt das: Unter der kombinierten Therapie mit Testosteronundecanoat und Lebensstilveränderungen hatte sich das Diabetes-Risiko nach zwei Jahren um etwa die Hälfte reduziert. Selbst die Männer, die zu Studienbeginn bereits einen neu diagnostizierten Typ-2-Diabetes hatten, profitierten von der Behandlung. So entwickelten nur noch 32% dieser Männer unter Kombinationsbehandlung nach 2 Jahren einen manifesten Diabetes. Bei den Männern mit Lebensstilmodifikation allein waren es hingegen noch 45%.
esanum: Um nun noch einmal zurück zu Michael vom Anfang zu kommen: Was macht das Kurzvideo vor diesem Hintergrund so wichtig für die tägliche Praxis?
Sommer: Wie die Diagnose „Testosteronmangel“ in der Praxis gestellt wird, was eine Testosteronersatztherapie eigentlich ist und was Mann darüber hinaus noch mehr tun kann, um sich wieder fit und gesund zu fühlen, das erklärt Michael in diesem Kurzvideo. Für die tägliche Praxis ist das eine schöne Möglichkeit, um den Männern das Thema näherzubringen. Auf der eigenen Praxis-Homepage verwendet, können sich neben den Männern auch deren Frauen mit dem Video informieren. Wir wissen ja alle nur zu gut, dass die Frauen oft die besten Gesundheitsmanager ihrer Männer sind. Die Vorsorge können wir als Urologinnen und Urologen passgenau liefern. Den Weg zu uns finden, das müssen die Männer aber zuerst selbst und dafür können und sollen Informationen, wie etwa das Video mit Michael, ein erster Türöffner sein.
esanum: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Sommer.
Sommer: Ich danke Ihnen und den Leserinnen und Lesern ebenso. Bleiben Sie gesund.
Anm. d. Red.: Der Download des Videos für die eigene Praxis-Homepage ist unter diesem Link der DGMG kostenfrei möglich.