Die Koalition will Tempo machen, damit das Gesundheitswesen digitaler wird. Der Bundestag soll dazu ein Gesetz für konkrete Anwendungen für PatientInnen beschließen. Die Ärzteschaft sieht aber auch sensible Punkte.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat ein behutsames Vorgehen bei neuen digitalen Angeboten für PatientInnen angemahnt. "Es haben nicht alle Menschen in dieser Gesellschaft die gleiche Vertrautheit mit neuen Technologien, zum Beispiel auch wegen ihres Alters", sagte der Chef der Bundesärztekammer. "Wenn wir zu stark und zu schnell auf digitale Unterstützung abstellen, darf man die Menschen nicht vergessen, die damit vielleicht nicht umgehen können." Sonst könne es zu "einer Art Zwei-Klassen-Versorgung" kommen.
Der Bundestag will ein Gesetz von Minister Jens Spahn (CDU) beschließen, das neue digitale Angebote ermöglichen soll. So sollen PatientInnen bestimmte Gesundheits-Apps künftig von der Kasse bezahlt bekommen, wenn ÄrztInnen sie ihnen verschreiben. Dabei geht es etwa um Anwendungen, die beim regelmäßigen Einnehmen von Medikamenten helfen. PatientInnen sollen unter anderem auch leichter Praxen mit Videosprechstunden ausfindig machen können.
Reinhardt sagte, es werde angesichts der großen Menge an Angeboten nicht ganz einfach zu unterscheiden sein, welche Apps wirklich der Versorgung dienen. "Es gibt digitale Gesundheitsanwendungen, die sehr sinnvoll und hilfreich sind. Es gibt aber auch viel Schnickschnack, der keinen Mehrwert für PatientInnen und ÄrztInnen bringt." Damit ÄrztInnen digitale Anwendungen verschreiben könnten, sollte vorher sichergestellt sein, dass sie keinen Schaden anrichten.
Der Ärztepräsident betonte: "Digitalisierung in der Medizin bedeutet auch eine Vertrauensfrage. Vertraue ich einer technisch hergestellten Lösung eines Problems?" Zwischen Menschen gebe es ja noch andere Wahrnehmungsinstrumente wie Sympathie oder Einfühlungsvermögen, durch die Vertrauen entstehe. "Auch Datenschutz und sichere Datenverarbeitung haben mit Vertrauen zu tun."
Mit Blick auf eine geplante stärkere Datennutzung für die Forschung sagte Reinhardt: "Der medizinische Fortschritt sollte schon befördert werden, dazu werden auch Gesundheitsdaten gebraucht." Er finde es aber problematisch, eine Datenübermittlung einfach per Gesetz festzulegen. "Es wäre klüger, die Menschen freiwillig zu motivieren und sie zu fragen, ob sie nicht ganz bewusst eine Datenspende vornehmen wollen, um so eine bessere Forschung zu ermöglichen."
Eine gesellschaftliche Meinungsbildung, wie der ethische Konflikt zwischen Wissenschaftsfreiheit und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung neu auszutarieren sei, habe bis jetzt noch nicht stattgefunden. Dies könne nicht durch ein Gesetzgebungsverfahren ersetzt werden, sagte Reinhardt. ÄrztInnen seien auch aufgefordert, PatientInnen zu großer Sorgfalt beim Umgang mit ihren digitalen Daten zu sensibilisieren. "Das Arztgeheimnis hat einen großen Stellenwert und darf in überhaupt keiner Weise berührt werden. Insofern gibt es Daten oder Erkenntnisse, die man dezidiert einer solchen Weiterverarbeitung vorenthalten muss."
Die Gewerkschaft Verdi warnte vor einem Zusammenführen der Sozialdaten von Millionen KassenpatientInnen. Der Vorsitzende Frank Werneke sagte: "Die ungefragte Sammlung und Auswertung derartiger Daten ist ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Versicherten."