Seit Anfang August wird in Deutschland ein Neugeborenen-Screening auf schwere kombinierte Immundefekte (SCID) vorgenommen. Somit steht den Eltern eine weitere Möglichkeit der durch die Krankenkassen finanzierten Früherkennung zur Verfügung. Ziel des Screenings ist es, bei positiv getesteten Neugeborenen möglichst schnell mit den erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu beginnen. Das Screeningzentrum Sachsen, Standort Dresden, am Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin sowie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden konnte bereits in den ersten Tagen bei einem Neugeborenen einen SCID nachweisen.
Diesem Kind wird es – darin liegt der Sinn des neuen Screenings – erspart bleiben, erst aufgrund einer lebensbedrohlichen Infektion diagnostiziert zu werden oder sogar daran zu sterben: dank der frühzeitigen Diagnose sind die Heilungschancen durch eine Stammzelltransplantation hervorragend.
"Durch das erweiterte Screening bekommen wir die Möglichkeit, diese Defekte schnell zu erkennen und die Krankheitsbilder zu behandeln", sagt Prof. Reinhard Berner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Dresdner Uniklinikums. "Da Kinder mit SCID in den ersten Lebenswochen meist symptomfrei sind, ist das erweiterte Neugeborenenscreening für Patienten ohne familiäre Vorbelastung die einzige zuverlässige Methode, die Erkrankung möglichst früh und vor dem Eintritt lebensbedrohlicher Komplikationen zu erkennen", sagt Prof. Catharina Schütz, die den Bereich Pädiatrische Immunologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin leitet. "Im Screening bestimmen wir Biomarker, welche die Anzahl bestimmter, lebensnotwendiger Immunzellen beim Kind widerspiegeln", sagt Dr. Oliver Tiebel, Ansprechpartner des Screeninglabors am Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (IKL).
"Unbehandelte Kinder versterben meist innerhalb der ersten beiden Lebensjahre an Infektionen oder schwerer Autoimmunität", sagt Prof. Reinhard Berner. Rechtzeitig diagnostiziert und behandelt, lassen sich betroffene Kinder jedoch heilen. SCID ist langfristig nur heilbar, wenn die Erkrankten ein funktionstüchtiges Immunsystem bekommen. Dies ist nur mit einer Stammzelltransplantation möglich.
Das erweiterte Neugeborenen-Screening ermöglicht es nun, betroffene Kinder bereits in den ersten Lebenstagen zu erkennen und die Therapiechancen deutlich zu verbessern. Dabei werden aber Immundefekte nicht generell ausgeschlossen, sondern nur die allerschwersten Formen. Auffällig getestete Neugeborene sollten umgehend einer spezialisierten immunologischen Einrichtung, wie der pädiatrischen Immunologie des Universitätsklinikums Dresden, vorgestellt werden, damit eine weiterführende Diagnostik und Therapie erfolgen können.
"Die Hochschulmedizin Dresden hat auf diesem Gebiet jahrelang Aufbauarbeit geleistet und trägt mit ihrem Engagement dazu bei, dass Neugeborene nun noch besser und intensiver auf angeborene Krankheiten untersucht werden können", sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Universitätsklinikums. "Von dieser Expertise und den institutionsübergreifenden Screeningstrukturen profitieren nun kleine Patienten in ganz Sachsen."
Das Neugeborenenscreening in einer regionalen Struktur und flächendeckend gibt es an den Universitätskliniken Dresden und Leipzig seit 1991. Dabei wird am dritten Lebenstag Blut aus der Ferse des Kindes entnommen und auf seltene Erkrankungen untersucht. Erfassen lassen sich dabei 17 Zielkrankheiten, das sind 13 Stoffwechselkrankheiten, zwei Hormonstörungen, die Mukoviszidose und schwere kombinierte Immundefekte sowie SCID. Zuletzt wurde 2016 die Mukoviszidose in das Screening aufgenommen, eine Untersuchung, die das Universitätsklinikum Dresden bereits seit 1996 für alle Neugeborenen anbietet.
"Im Screeningzentrum Sachsen, das gemeinsam mit der Uniklinik Leipzig betrieben wird, können wir nunmehr für alle in Sachsen geborenen Kinder auch diese aufwändige Untersuchung auf SCID anbieten. Darauf sind wir sehr stolz", sagt Dr. Oliver Tiebel, der als stellvertretender Direktor am IKL wesentlich an der Etablierung der neuen Methoden beteiligt war. Das Team besteht aus sechs MitarbeiterInnen, einem Facharzt und einem Arzt in Weiterbildung. Rund 15.000 Kinder aus einem Einzugsgebiet zwischen Riesa; Görlitz, Brandenburg und der Landesgrenze zu Tschechien wurden im vergangenen Jahr untersucht.