Everolimus erweitert das Therapiespektrum bei TSC-assoziierter Epilepsie

Das aus der Onkologie und Transplantationsmedizin bekannte Everolimus ist im Januar 2017 zur Behandlung von Patienten mit TCL-assoziierter Epilepsie in der EU zugelassen worden. Welche Chancen eröffnen sich für die Betroffenen und ihre Ärzte?

Das aus der Onkologie und Transplantationsmedizin bekannte Everolimus ist im Januar 2017 für Behandlung von Patienten mit TCL-assoziierter Epilepsie in der EU zugelassen worden. Welche Chancen eröffnen sich für die Betroffenen und ihre Ärzte?

Auf einer Fachpressekonferenz stellten drei Experten neben dem seltenen Krankheitsbild die Ergebnisse der Zulassungsstudie und die Besonderheiten der neuen Therapieoption vor.

Konkret ist Everolimus als Votubia® für die Anwendung "als Begleittherapie bei Patienten ab 2 Jahren mit refraktären partiellen Krampfanfällen, mit oder ohne sekundäre Generalisierung, in Zusammenhang mit einer tuberösen Sklerose (TSC)" zugelassen.

Etwa 8.000 TSC-Betroffene in Deutschland

Die TSC (Tuberous Sclerosis Complex) ist eine seltene Erkrankung, von der in Deutschland gegenwärtig etwa 8.000 Menschen betroffen sein dürften. Bei einer Geburteninzidenz von ca. 1:6.000 kommen hierzulande jährlich mehr als 100 Kinder mit TSC zur Welt. Weltweit wird die Zahl der Betroffenen auf über 1 Million geschätzt.

Das komplexe Krankheitsbild ist auf Mutationen in den Genen TSC1 oder TSC2 zurückzuführen. Sie werden zu 30% autosomal-dominant vererbt und entstehen zu 70% spontan während der Embryogenese. Aufgrund der fehlerhaften Erbinformation verliert der TSC1/TSC2-Proteinkomplex seine inhibitorische Wirkung auf ein Schlüsselenzym der zellulären Signaltransduktion: die mTOR-Proteinkinase. Die Folgen sind unkontrolliertes Zellwachstum und die Ausbildung benigner Tumore in diversen Organen. Das Immunsuppressivum Everolimus deaktiviert mTor durch Komplexbildung und fungiert quasi als "Ersatz-Bremse".

Besonders schwierige Epilepsie-Patienten

Etwa 85% der TSC-Patienten leiden an einer Epilepsie. Nur 35% von ihnen bleiben, überwiegend unter antiepileptischer Behandlung, länger als ein Jahr anfallsfrei, 65% entwickeln eine Pharmakoresistenz. Es handelt sich also um besonders schwierige Epilepsie-Patienten.

Details zur Phase-III-Zulassungsstudie EXIST-3 erläuterte Dr. Tilman Polster vom Epilepsie-Zentrum Bethel in Bielefeld, einer der Studienleiter. Vor dem Hintergrund der niedrigen Prävalenz stellen die teilnehmenden 366 TSC-Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie ein beträchtliches Quantum dar.

Sie wurden in drei Studienarme randomisiert und erhielten doppelverblindet zusätzlich zur bestehenden Medikation mit ein bis drei Antiepileptika entweder Placebo oder Everolimus in niedriger Exposition (3-7 ng/ml) bzw. hoher Exposition (9-15 ng/ml). Die Medikation wurde über 6 Wochen auftitriert und die Dosierung dann über weitere 12 Wochen beibehalten. An diese Kernphase schloss sich eine Extensionsphase an, in der alle Studienteilnehmer 48 Wochen lang Everolimus erhielten.

Zulassungsstudie EXIST-3 belegt Wirksamkeit von Everolimus gegenüber Plazebo

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass der mTOR-Inhibitor als antiepileptische Begleittherapie fokale Anfälle im Vergleich zu Placebo signifikant reduzieren kann. Beide primäre Endpunkte wurden erreicht:

  1. Ansprechrate (Reduktion der Anfallshäufigkeit um ≥ 50% im Vergleich zum Ausgangswert): 40% bzw. 28,2 % unter Everolimus (9-15 ng/ml bzw. 3–7 ng/ml) vs. 15,1% unter Placebo;
  2. Reduktion der wöchentlichen Anfallshäufigkeit um 29,3-39,6% unter Everolimus (je nach Plasmaspiegel) vs. 14,9% unter Placebo.

Der Wirksamkeitsnachweis gelang auch hinsichtlich wichtiger sekundärer Endpunkte der Studie. Bei Patienten, deren durchschnittlicher Everolimus-Plasmaspiegel unter 3 ng/ml lag, entsprach die Reduzierung der Anfallshäufigkeit derjenigen in der Placebogruppe. Mit zunehmendem Plasmaspiegel nahm auch die Wirksamkeit zu, was die Dosisabhängigkeit bestätigt.

Bei einer doppelt so hohen Everolimus-Talkonzentration war auch die Chance auf ein Ansprechen etwa 2,2-fach erhöht. Desweiteren korrelierte das Ansprechen mit der Dauer der Wirkstoff-Exposition. Am besten war es bei 34 Patienten ausgeprägt, die über einen bestimmten Zeitraum den höchsten Everolimus-Plasmaspiegel aufwiesen.

Die Auftitrierung bis in den gewünschten Hochexpositionsbereich war selbst unter Studienbedingungen nicht ganz einfach. Im klinischen Alltag ist sie es erst recht nicht. "Häufig wird bei schwerer Epilepsie zu vorsichtig dosiert und deshalb keine Anfallsfreiheit erreicht", konstatierte Dr. Christoph Hertzberg während der Präsentation von Fallbeispielen. "Die TSC-Diagnose ist leicht, aber die Behandlung ist schwer", so der Neuropädiater vom TSC-Zentrum Berlin.

"Sehr gut vertretbares Nebenwirkungsprofil"

Als Immunsuppressivum zählt Everolimus prinzipiell nicht zu den "harmlosen" Medikamenten. Wie ist es um seine therapeutische Sicherheit bestellt? „Insgesamt weist Everolimus ein sehr gut vertretbares Nebenwirkungsprofil auf“, stellte Polster fest, auch mit Blick auf die eigenen Patienten. Das gilt vor allem angesichts der Schwere des Krankheitsbildes. In der therapeutischen Diskussion werde die Gefährlichkeit der Erkrankung häufig unterschätzt oder verharmlost, so der Experte.

Als häufigste Nebenwirkungen, die mit einer Frequenz von mindestens 15% in einem der Behandlungsarme vorkamen, wurden Stomatitis, Diarrhoe, Fieber, Nasopharyngitis und Infektionen der oberen Atemwege beobachtet. Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen mit Grad 3 und 4 betrug unter Placebo 11 % und unter Everolimus 18% (3-7 ng/ml) bzw. 24% (9–15 ng/ml). Schleimhautläsionen wie orale Aphthen können mitunter eine Therapie-Unterbrechung erfordern, sind aber gut behandelbar.

Positive Effekte über die Anfallskontrolle hinaus

Hertzberg zeigte anhand von drei Fallbeispielen aus verschiedenen Altersgruppen, dass die Behandlung mit dem mTOR-Inhibitor nicht nur die Anfallskontrolle verbessern kann. Positive Effekte sind auch im Hinblick auf Hautmanifestationen, Persönlichkeitsstabilisierung und psychiatrische Komorbiditäten zu beobachten.

In Europa wurden Patienten ab einem Alter von einem Jahr, in den USA aber erst ab 2 Jahren in die EXIST-3-Studie aufgenommen. Polster bedauerte, dass demzufolge noch keine Daten und keine Zulassung für unter Zweijährige vorliegen. Er hält eine Studie in dieser jüngsten Altersgruppe für dringend wünschenswert: "Da brennt es am meisten."

Unbehandelte Epilepsie bedroht die weitere Lebensentwicklung

Eine Behandlung der ganz Kleinen ist gegenwärtig nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs möglich – anders als beim Riesenzellastrozytom (SEGA): Zur Therapie dieser TSC-Manifestationsform im Gehirn ist Everolimus seit 2011 zugelassen, ursprünglich ab 3 Jahren, seit November 2013 aber ohne Altersbegrenzung. Im Oktober 2012 erfolgte außerdem die Zulassung von Everolimus für die Behandlung der bei TSC anzutreffenden Angiomyolipome. Allerdings erst ab 18 Jahren, was in der Praxis zu einem "Kampf mit den Kassen" führt, wenn es um die Kostenübernahme bei jüngeren Patienten geht. Darauf wies Dr. Adelheid Wiemer-Kruel vom Epilepsie- und TSC-Zentrum Kork in ihrem Vortrag hin.

Die Expertin machte klar, dass eine unbehandelte TSC-assoziierte Epilepsie häufig eine verzögerte geistige Entwicklung nach sich zieht. Für die betroffenen Kinder und ihre Familien bedeutet das in vielen Fällen einen hohen Leidensdruck. Geistige Behinderungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Autismus oder kognitive Beeinträchtigungen sind in 50% der Fälle zu beobachten. Das Problem: Mit den bisherigen, symptomatisch ausgerichteten Behandlungsmethoden wie Antiepileptika, Neurochirurgie, Vagusnervstimulation und ketogener Diät kann bei bis zu 60% der Patienten keine Anfallsfreiheit erzielt werden. 

Mit Everolimus steht hier eine gänzlich neue Therapieoption zur Verfügung, die mit der mTOR-Inhibition an der gemeinsamen Ursache der TSC-Manifestationen ansetzt. In eine von Polster vorgestellte Konsensusempfehlung zur Therapie der TSC-assoziierten Epilepsie wurde Everolimus als Option zur Drittlinientherapie bei fokalen Krampfanfällen aufgenommen. Mit dem Potenzial seines komplementären Wirkprinzips bereichert es nun das dringend verbesserungsbedürftige Therapiearsenal für diese spezielle Indikation.

Vision am Horizont: präventive Behandlung

Die Experten wiesen auch auf die Bedeutung der frühzeitigen Diagnose hin, die heute dank hochauflösendem Ultraschall häufig schon pränatal durch den Gynäkologen gestellt werden kann. Dies ermöglicht die Planung eines perinatalen Behandlungsmanagements. Hier könnte sich vielleicht sogar ein Paradigmenwandel am Horizont abzeichnen: die Behandlung der Kinder schon vor dem Auftreten von Anfällen.

Quelle:

"TSC-assoziierte Epilepsie – Zulassungserweiterung von Everolimus ermöglicht holistischen Therapieansatz". Pressekonferenz der Novartis Pharma GmbH. Frankfurt, 24.02.2017.