Im deutsch-dänischen Grenzgebiet war ein Mann jahrelang als Notfallmediziner bei Veranstaltungen im Einsatz, ohne jemals Medizin studiert zu haben. Jetzt wurde er verurteilt. Der falsche Mediziner ist kein Einzelfall. Was kann man dagegen tun?
Selbst die damalige Ehefrau wusste nicht, dass ihr Mann kein Arzt ist: Ihr stellt sich ein heute 36-Jähriger beim Kennenlernen 2009 als Medizinstudent vor. 2011 wurde der Mann von einer Rettungsorganisation in Flensburg als ehrenamtlicher Sanitätshelfer eingestellt. 2012 wurde ihm von der Organisation auf seinen Antrag hin ein Dienstausweis als "Arzt" ausgestellt. Als dieser war er bis 2017 bei Veranstaltungen überwiegend in Dänemark und auch in Deutschland im Einsatz.
Am 24.09.2019 wurde der Mann vom Amtsgericht Flensburg wegen des unbefugten Führens von akademischen Titeln sowie der Berufsbezeichnung Arzt zu einer Strafe von elf Monaten ausgesetzt auf Bewährung verurteilt. Er flog durch Hinweise aus seinem privaten Umfeld an die Polizei auf.
Der Angeklagte war unter anderem für Erstbehandlungen von Verletzungen zuständig. Arbeiten an PatientInnen hat er nach Zeugenaussagen aber meist delegiert. Auch Medikamente hat er demnach nicht verabreicht. Zudem hatte er immer erfahrene MitarbeiterInnen an seiner Seite. Dennoch, es sei auch Glück gewesen, dass niemand zu Schaden gekommen sei, sagte die Richterin.
Der Angeklagte hat nur einen Hauptschulabschluss und keine abgeschlossene Berufsausbildung. An seiner Qualifikation zweifelte in seinem Umfeld dennoch niemand, wie im Prozess deutlich wird. Laut eines Intelligenztestes soll er einen IQ von 148 haben. Damit ist er hochbegabt.
Der Mann ist kein Einzelfall. Zu den bekanntesten Hochstaplern im Arztkittel gehört ein Postbote, der sich 1995 einen Oberarztposten in einer Klinik in Zschadraß bei Leipzig mit gefälschten Zeugnissen erschwindelt hatte. In den 1980er Jahren war derselbe Mann bereits in Flensburg als Arzt aufgetreten. Im Juli dieses Jahres wurde in Kassel ein falscher Arzt unter anderem wegen gewerbsmäßiger Urkundenfälschung verurteilt.
Der jetzt in Flensburg verurteilte Mann musste nie eine gefälschte Urkunde vorlegen - der Rettungsdienst stellte ihm den Dienstausweis auch so aus, glaubte, dass er sein Studium abschloss, später noch einen Doktortitel erwarb, ein Facharztausbildung zum Unfallchirurgen sowie eine Weiterbildung zum Notfallmediziner absolvierte. All dies wurde nie hinterfragt. "Sie haben sich ein Umfeld ausgesucht, wo Arbeiten auf Vertrauen möglich war", sagte die Richterin. Und dieses Vertrauen habe er, nachdem er es erworben hatte, ausgenutzt.
Der 36-Jährige war überwiegend in den Sommermonaten für die Rettungsorganisation im Einsatz. Für die ehrenamtlichen Tätigkeiten gab es eine Aufwandsentschädigung. Seiner Frau und auch bei der Organisation erzählte er, dass er in Kiel als Unfallchirurg arbeitete. Auch das zweifelte niemand an.
Wieso? Die Gesellschaft sei schlecht vorbereitet auf BetrügerInnen, die mit Charme und Einfühlungsfähigkeit das Vertrauen ihres Umfelds gewinnen und missbrauchen, sagte Peter Walschburger, Professor für Psychologie an der Freien Universität Berlin. Denn: "Vertrauen ist der Kitt unserer sozialen Beziehungen", sagte der Psychologe. "Wir werden dadurch allzu leicht zu Opfern. Denn wer überhaupt nicht vertraut, sondern immer nur misstraut, der ist kaum fähig, in einem sozialen Team erfolgreich zu arbeiten."
Gerade weil Vertrauen so wichtig ist, sollten sich aber Prüfinstanzen wie Arbeitgeber, Fachgremien oder Kammern nicht alleine von persönlicher Sympathie und vom Charme des Gegenübers leiten lassen, sagte Walschburger. Sie sollten vielmehr auch die Fakten so sorgfältig prüfen, dass auch kleinste Zweifel ausgeräumt werden können.
Nach Angaben des Geschäftsführers der Landesärztekammer Schleswig-Holstein, Carsten Leffmann, gibt es alle paar Jahre ein paar Fälle, wo angebliche ÄrztInnen gefälschte Approbationsurkunden oder ähnliches bei der Kammer einreichten. Die KammermitarbeiterInnen seien "ziemlich gut geschult" darin, Unregelmäßigkeiten zu finden.
Neuerdings könne zudem einen QR-Code auf die Urkunden aufgedruckt werden. Wird dieser eingelesen, erscheint auf dem Bildschirm genau das, was auch auf der Urkunde stehen sollte. Dies mache die Dokumente fälschungssicherer. In Schleswig-Holstein werde dies seit einiger Zeit bei den Facharzturkunden gemacht, sagte Leffmann. Es sei eine Reaktion der Kammer auf die zwar seltenen, aber dennoch auftretenden Fälle von Fälschungen. Leffmann rät Arbeitgebern den QR-Code - wenn er vorhanden ist - einmal kurz einzuspielen. "Man hat dann ja gleich eine andere Sicherheit."