ForscherInnen aus Bochum und Münster haben eine neue Methode entwickelt, um die Strukturen aller RNA-Moleküle in einer Bakterienzelle auf einmal zu bestimmen. Dabei entdeckten sie auch viele neue RNA-Thermometer.
In allen lebenden Zellen wird die genetische Information in doppelsträngiger DNA gespeichert und in einzelsträngige RNA umgeschrieben, die dann als Bauplan für Proteine dient. Die RNA ist allerdings nicht nur eine lineare Abschrift der genetischen Information, sondern faltet sich häufig in komplexen Strukturen. Die Kombination aus einzelsträngigen und teilweise gefalteten doppelsträngigen Bereichen ist für die Funktion und Stabilität von RNAs von zentraler Bedeutung. "Wenn wir etwas über RNAs lernen wollen, müssen wir auch ihre Struktur verstehen", sagte Franz Narberhaus.
Mit der Blei-Sequenzierung stellen die Autorinnen und Autoren eine Methode vor, mit der sich sämtliche RNA-Strukturen in einer Bakterienzelle gleichzeitig untersuchen lassen. Dabei nutzen die WissenschaftlerInnen die Tatsache aus, dass Blei-Ionen Strangbrüche in einzelsträngigen RNA-Abschnitten erzeugen; gefaltete RNA-Strukturen, also Doppelstränge, bleiben von Blei-Ionen hingegen unangetastet.
Durch die Blei-Behandlung zerlegten die WissenschaftlerInnen die einzelsträngigen RNA-Bereiche an zufälligen Stellen in viele kleinere Fragmente, schrieben diese dann in DNA um und sequenzierten sie. Der Anfang jeder DNA-Sequenz entsprach also einem ehemaligen Strangbruch in der RNA. "Das verrät uns, dass die entsprechenden RNA-Bereiche als Einzelstrang vorgelegen hatten", erklärten die AutorInnen.
Die experimentell gewonnenen Informationen über die einzelsträngigen RNA-Abschnitte werteten die ForscherInnen anschließend bioinformatisch aus. "Wir nehmen dabei an, dass nicht geschnittene RNA-Bereiche als Doppelstrang vorgelegen haben, und versuchen, mit Vorhersage-Programmen zu berechnen, wie die RNA-Moleküle gefaltet sein müssen", so die ForscherInnen weiter: "Das hat mit den Informationen aus der Blei-Sequenzierung deutlich besser geklappt als ohne diese Informationen."
Mit diesem Ansatz konnten die Forscherinnen und Forscher gleichzeitig die Strukturen von Tausenden von RNAs des Bakteriums Yersinia pseudotuberculosis auf einen Schlag bestimmen. Das Team verglich die mittels Blei-Sequenzierung gewonnenen Ergebnisse von einigen RNA-Strukturen mit Ergebnissen von klassischen Methoden – sie stimmten überein.
Ihre Experimente führte die Gruppe bei 25 und 37 Grad Celsius durch, da einige RNA-Strukturen sich abhängig von der Temperatur verändern können. Mithilfe sogenannter RNA-Thermometer bemerken Bakterien wie der Durchfall-Erreger Yersinia pseudotuberculosis nämlich, ob sie sich im Wirt befinden. Mit der Blei-Sequenzierung identifizierte das Team nicht nur bereits bekannte RNA-Thermometer, sondern entdeckte auch einige neue.
Ein Vorteil der Methode ist, dass die kleinen Blei-Ionen ungehindert in lebende Bakterienzellen gelangen. Deshalb gehen die ForscherInnen davon aus, dass diese Methode universell einsetzbar ist und in Zukunft zur detaillierten Aufklärung des Zusammenhangs zwischen RNA-Struktur und Funktion beitragen wird.