Zu Halloween kommen manche aus dem Gruseln kaum mehr heraus: Überall hängen und sitzen Achtbeiner aus Plüsch oder Plastik. Etliche Menschen in Deutschland sind von übergroßer Angst vor Spinnen betroffen - mit erheblichen Folgen für den Alltag.
Sie knurren nicht, sie fletschen nicht die Zähne und springen einen nicht an - doch vergleichsweise kleine und unscheinbare Spinnen erschrecken Menschen häufiger als Hunde oder auch Schlangen. "Etwa zehn Prozent der Bevölkerung leiden mindestens einmal im Leben unter einer Tierphobie, aber die Menschen mit Spinnenphobie bilden die weitaus größte Gruppe", sagt Angstforscher Georg Alpers von der Universität Mannheim.
Bei manchen Menschen gehen Abscheu und Furcht vor den Achtbeinern so weit, dass das Leben im Alltag beeinträchtigt wird. "Manche Betroffene trauen sich nicht alleine in den Keller, wollen das Auto nicht aus der Garage holen - aus Angst, einer Spinne zu begegnen", erläutert Alpers.
Menschen mit Spinnenphobie untersuchen vorm Schlafengehen etliche Male ihr Bett, meiden Spaziergänge im Wald oder weigern sich, sich auf eine Wiese zu setzen - alles, um unliebsamen Begegnungen mit den Tierchen zu entgehen. "Da entsteht enormer Leidensdruck", sagt Psychologe Alpers. Angehörige sollten sich vor Sätzen wie "Jetzt reiß dich doch zusammen" hüten: "Die Betroffenen wissen selbst, dass ihr Verhalten nicht angemessen ist." Trost und Unterstützung seien hilfreicher.
Mögliche Ursachen der krankhaften Angst gibt es mehrere. Menschen, die generell nervöser und leichter irritierbar sind oder die unter psychischer oder sozialer Belastung stehen, sind häufiger betroffen. Außerdem übernehmen Alpers zufolge viele Kinder Angststörungen von ihren Eltern. Eigene erschreckende Erfahrungen mit Spinnen oder die anderer Menschen könnten ebenfalls eine Phobie auslösen.
Peter Jäger, Spinnenkundler vom Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt, sieht auch in der herkömmlichen Gruseldarstellung von Spinnen eine Ursache. "Durch Horrorfilme wie 'Tarantula' und 'Arachnophobia' und die immer weitere Entfernung von der Natur können Ängste bei Individuen gesteigert werden." Dabei seien Spinnen "superwichtig", jagten sie doch Mücken, Asseln, Silberfischchen und Mehlmotten, die niemand gerne im Haus habe.
Der Arachnologe beziffert die Zahl bekannter Spinnenarten weltweit auf 48.000, von denen nur 20 bis 40 für Menschen so giftig seien, dass ein Biss starke Symptome hervorruft und im Extremfall tödliche Folgen haben kann. Von den rund 1.000 Spinnenarten in Deutschland sei nur der Ammendornenfinger giftig - "aber nicht wirklich gefährlich". Der Naturschutzbund beschreibt diese eineinhalb Zentimeter langen Wesen als scheu. Sie müssten schon massiv gestört werden, damit sie sich mit einem Biss zur Wehr setzen.
Frauen sind doppelt so häufig von Angststörungen jeglicher Art - also auch von pathologischer Spinnenangst - betroffen. "Und das ganz stabil in allen Kulturkreisen, die wir kennen", erläutert Alpers. Die Frage, warum das so ist, ist noch nicht gänzlich beantwortet. Alpers nennt genetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie unterschiedliche Lernerfahrungen. "Wenn Mädchen ihre Angst ausdrücken, wird das eher akzeptiert als bei Jungen, die angehalten werden, mutig zu sein."
Menschen, die unter Arachnophobie leiden, entwickeln beim Anblick der Tiere Symptome wie Schweiß, Herzklopfen und Anspannung aller Sinne. Alpers, Inhaber des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie und Psychotherapie, erklärt: "Der Phobiker rechnet damit, sich jeden Augenblick verteidigen oder fliehen zu müssen, und bereitet sich automatisch darauf vor." Das seien normale Reaktionen, ohne dass jedoch eine reale Bedrohung zugrunde liege. "Diese Diskrepanz zwischen realer und wahrgenommener Bedrohung ist für die Betroffenen sehr unangenehm."
Die Wahrnehmung spinnenängstlicher Personen unterscheidet sich stark von der anderer Menschen: Sie berichten, überall Spinnen zu sehen, an sie zu denken, von ihnen zu träumen. Mit einem Experiment wiesen Alpers und sein Doktorand Ulrich Müller nach, dass die visuelle Wahrnehmung tatsächlich differiert: Bei einem Versuch mit rivalisierenden Bildern in einem die Sichtfelder trennenden Stereoskop - etwa einem Muster für das rechte und einer Spinne für das linke Auge - wurde die Dominanz der Spinnen für die Gruppe mit der entsprechenden Angst deutlich.
Müller: "Die bislang 30 spinnenängstlichen Versuchsteilnehmer haben die Tiere signifikant häufiger als erstes und über einen längeren Zeitraum wahrgenommen." Die ebenfalls 30-köpfige Kontrollgruppe hingegen nahm die Spinne ebenso häufig und so lange wahr wie das rivalisierende Bild.
Angstforscher Alpers resümiert: "Unser Experiment zeigt, dass Menschen visuelle Wahrnehmungen unbewusst anders filtern und ihr Gehirn Bilder anders verarbeitet, wenn Angst im Spiel ist." Diese grundlegende Erkenntnis helfe beim Verständnis der pathologischen Angst und der ihr zugrundeliegenden Wahrnehmungsprozesse, die in der Regel gut therapierbar seien. Zwölf psychologisch betreute Sitzungen mit verhaltenstherapeutischer Zusatzausbildung könnten schon helfen. Von Beruhigungsmedikamenten rät der Leiter einer psychologischen Ambulanz ab.
Verhaltensforscher Müller will das Experiment nun vor und nach einer einmaligen Therapie einsetzen, um herauszufinden, ob sich danach Erfolge zeigen. Dabei soll nach Absprache mit dem Patienten oder der Patientin auch ein für viele besonders gruselig wirkendes Gruseltier zum Einsatz kommen: eine Vogelspinne.