Der Bundesgerichtshof hat ein Grundsatzurteil zur Sterbebegleitung getroffen: Ein Arzt ist nicht dazu verpflichtet, PatientInnen nach einem Suizidversuch das Leben zu retten. Zumindest, wenn die Entscheidung zum Sterben freiwillig und bewusst getroffen wurde.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Selbstbestimmungsrecht von PatientInnen gestärkt. ÄrztInnen sind nicht verpflichtet, PatientInnen nach einem Suizidversuch gegen deren Willen das Leben zu retten, entschied der 5. Strafsenat des BGH. Er bestätigte damit zwei Freisprüche der Landgerichte in Berlin und Hamburg. "Entscheidend ist die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses", begründete der Vorsitzende Richter Norbert Mutzbauer die Entscheidung. Der BGH lockerte mit seinem Urteil die bisherige Rechtssprechung zum Umgang von ÄrztInnen mit sterbewilligen PatientInnen.
Der BGH verhandelte zwei Fälle, bei denen Mediziner aus Berlin und Hamburg körperlich kranke Menschen nach der Einnahme tödlicher Medikamente bis zum Tod begleitet hatten, ohne ihnen das Leben zu retten. Sie hatten sich wegen Tötungsdelikten verantworten müssen. Zwei ältere Frauen aus Hamburg hatten sich 2012 entschlossen, aus dem Leben zu scheiden. Der heute 67-jährige Arzt war dabei, als sie die tödlichen Medikamente einnahmen und begleitete ihr Sterben. Zuvor hatte er ihnen eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit attestiert.
Außerdem ging es um eine chronisch kranke 44-Jährige aus Berlin, die 2013 ihr Leben beendete. Ihr heute 70 Jahre alter Hausarzt hatte ihr ein starkes Schlafmittel verschrieben. Davon nahm sie eine mehrfach tödliche Dosis. Dann informierte sie den Arzt, der nach der komatösen Frau sah, aber keine Rettungsmaßnahmen ergriff.
"Die Tatherrschaft lag bei ihr", führte Mutzbauer in der Urteilsbegründung aus. Die Patientinnen hätten ihre Entscheidungen eigenverantwortlich getroffen. "Ein Arzt kann nicht verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln", sagte der Vorsitzende Richter. Das Selbstbestimmungsrecht überlagert demnach auch die Garantenpflicht, die ein Hausarzt seinen PatientInnen gegenüber hat, also die Pflicht ihn zu schützen. Damit erleichterte das Gericht die Durchführung von Patientenverfügungen, die seit 2009 im Zivilrecht vorgesehen sind.
Der BGH verwarf die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision und erklärte die Freisprüche der Landgerichte in Berlin und Hamburg für rechtskräftig. Mit dem Urteil folgte der BGH der Forderung der Generalbundesanwaltschaft. "Insgesamt halte ich eine vorsichtige Kurskorrektur für angebracht", sagte Michael Schaper von der Generalbundesanwaltschaft mit Blick auf die bisherige Rechtsprechung des BGH.
"In einem eher säkularen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland kann eine religiöse Überzeugung keine Strafgrundlage darstellen", sagte er mit Blick auf Argumente von Gegnern der Sterbehilfe.
Andererseits sieht Schaper die "Gefahr eines Dammbruchs ethischer Hemmschwellen" bei einer zu liberalen Rechtsprechung. Er habe Sorge, dass Schwerkranke sich verpflichtet fühlten, ihrem Leben ein Ende zu setzen, um Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Daher plädierte Schaper dafür, dass vor einem Freitod Voraussetzungen erfüllt sein müssen: PatientInnen dürfen nicht unter Druck stehen und ihre freie Entscheidung wohl überlegen. In seiner Urteilsbegründung folgte Mutzbauer diesen Forderungen.