Frau Dr. Lubna Halimeh arbeitete als Assistenzärztin in der Viszeralchirurgie. Aktuell befindet sich die gebürtige Syrerin in Mutterschutz. Über ihren Wechsel in die Allgemeinmedizin des niedergelassenen Bereichs berichtet sie im esanum Interview.
esanum: Frau Dr. Halimeh, Sie sind Viszeralchirurgin im Krankenhaus und möchten jetzt in die Allgemeinmedizin im niedergelassenen Bereich wechseln. Was genau hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Halimeh: Um ehrlich zu sein, ist mir dieser Schritt sehr schwer gefallen, weil mir die Arbeit in der Viszeralchirurgie großen Spaß gemacht hat. Mein Mann und ich sind vor zwei Jahren Eltern von Zwillingen geworden und ich habe lange überlegt, ob ich der Chirurgie, mir selbst und den Kindern gerecht werden kann. Ich hatte Angst, die Kinder wegen meines Berufs zu oft in fremde Hände geben zu müssen. Deswegen habe ich nach langer Überlegung entschieden, den Weg in die Allgemeinmedizin zu gehen.
esanum: Aktuell befinden Sie sich im Mutterschutz. Wie lassen sich Ihrer Meinung nach Kind und Karriere in der Medizin vereinbaren?
Halimeh: Ich denke, das kommt ganz darauf an, wie hoch der eigene Anspruch ist. Ob man die Betreuung des Kindes selbst übernehmen, und wieviel man an andere abgeben kann oder möchte. Dann kommt es natürlich auch auf den Charakter des Kindes und das familiäre Umfeld an. Ich denke, dass man Kind und Karriere in der Medizin gut vereinbaren kann, wenn der Arbeitgeber flexibel bezüglich einer Teilzeitstelle ist. Ich selbst hatte großes Glück, einen Chef in der Viszeralchirurgie zu haben, der sich auf verschiedene Arbeitszeitmodelle eingelassen hätte. Trotzdem habe ich mich am Ende dagegen entschieden, in der Klinik zu bleiben, weil man im niedergelassenen Bereich mit Kindern einfach flexibler ist.
esanum: Wie empfinden Sie den Arbeitsalltag in beiden Bereichen? Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Unterschiede?
Halimeh: In der Klinik hat man feste Arbeitszeiten, feste Strukturen und natürlich auch Vorgesetzte, nach denen man sich richten muss. Das kann je nach Arbeitsklima positiv oder auch negativ zu werten sein. Ein Vorteil im Krankenhaus ist, dass man fachübergreifend arbeiten kann. Das heißt, bei Fragestellungen in anderen Bereichen, hat man direkt einen Facharzt vor Ort, der mitbeurteilen kann. So spart man sich selbst und vor allem dem Patienten lange Wartezeiten und Überweisungen. Auch auf den engen Patientenkontakt freue ich mich schon sehr. In der Klinik entlassen wir die Patienten in die hausärztliche Betreuung und wissen fast nie, wie es ihnen ergangen ist. Bisher habe ich ja noch nicht im niedergelassenen Bereich gearbeitet, erhoffe mir aber auch flexible Arbeitszeiten und natürlich Selbstbestimmung über das weitere Vorgehen und Therapieverfahren.
esanum: Viele berufstätige Frauen berichten von Nachteilen gegenüber männlichen Kollegen. Wie empfinden Sie die Bedingungen für Frauen in der Medizin?
Halimeh: Ich kann da nur aus eigener Erfahrung sprechen, aber das habe ich nie so empfunden. Ich hatte aber auch das große Glück, einen Chef zu haben, der absolut pro Frau in der Chirurgie ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit. In der Klinik, in der ich meine Ausbildung gemacht habe, hört man aber auch fachübergreifend, dass die Bedingungen für Frauen sehr gut und auf jeden Fall gleichberechtigt zu werten sind.
esanum: Ein allgemeines Klischee besagt: Frauen sind einfühlsam, Männer härter im Nehmen. Beobachten Sie tatsächlich Unterschiede von Frauen und Männern in der Arbeitsweise oder im Umgang mit Patienten?
Halimeh: Ja, im Grunde genommen, kann man das durchaus so bestätigen. Aber, so wie in vielen Bereichen: Ausnahmen bestätigen die Regel. Trotzdem sind Frauen im Allgemeinen etwas sensibler, zum Beispiel was das Nahebringen schlechter Diagnosen oder Prognosen angeht. Aber wie gesagt: Es gibt auch Ausnahmen.
esanum: Was würden Sie jungen Ärztinnen raten, die am Anfang ihrer Karriere stehen?
Halimeh: Das ist schwer zu sagen, denn es kommt vor allem darauf an, was man sich vorgenommen hat. Wenn man auf jeden Fall eine Familie gründen möchte und die Kinder im Vordergrund stehen sollen, dann braucht ein operatives Fach gute und flexible familiäre Strukturen. Auch bei Nachtdiensten muss die Versorgung gewährleistet sein. Je nachdem was der Mann beruflich macht, könnte allein das schon schwer zu organisieren sein. Ich habe den Weg in die Chirurgie damals sehr bewusst gewählt, obwohl ich von vielen Menschen, auch im familiären Umkreis, davor gewarnt wurde. Natürlich weiß man, dass man als Fachärztin für Viszeralchirurgie nahezu zwingend an ein Krankenhaus gebunden ist, ohne viele Möglichkeiten, sich niederzulassen. Trotzdem bereue ich keinen einzigen Tag in der Chirurgie. Letztendlich muss man sich mit dem, was man auswählt, wohlfühlen. Denn das wirkt sich sowohl auf die Arbeit, als auch auf die Familie aus.
Lesetipp: Im esanum Blog "Praxis-Tipps" diskutiert unsere Expertin relevante Fragen für niedergelassene Ärzte und leitet durch Themen rund um Abrechnung, Erstattung, GOÄ, IGeL oder Förderprogramme.