Internetbezogene Störungen wie die exzessive Nutzung von Computerspielen, sozialen Netzwerken und des Internets sind bei jungen Menschen in Deutschland auf dem Vormarsch. Möglichkeiten der Prävention und Therapie diskutieren circa 600 Teilnehmer des Deutschen Suchtkongresses, der vom 17. bis 19. September im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) stattfinden wird.
Etwa jeder zwölfte (8,4 Prozent) Junge oder junge männliche Erwachsene zwischen 12 und 25 Jahren ist süchtig nach Computerspielen. Rund 100.000 (2,6 Prozent) der 12- bis 17-Jährigen in Deutschland gelten als abhängig von Social Media. Betroffene Personen können die Kontrolle über die Nutzung verlieren sowie Hobbys und soziale Kontakte vernachlässigen. Gleichzeitig besitzen die Betroffenen ein höheres Risiko, an Depressionen zu erkranken.
"Mit dem vermehrten Konsum von Internet, Social Media und Computerspielen steigt auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Abhängigkeiten", erklärt Professor Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Präsident des Deutschen Suchtkongresses. "Wir haben in Deutschland eine erstklassige therapeutische Versorgung bei Erwachsenen. Bei jungen Menschen fehlen ambulante Therapieangebote und stationäre Therapieplätze. Diese benötigen wir dringend für internetbezogene Störungen, aber genauso für Abhängigkeiten von Alkohol und harten Drogen", sagt Thomasius. In Deutschland stehen nur etwa 200 Plätze für die stationäre kinder- und jugendpsychiatrische sowie psychotherapeutische Suchtbehandlung zur Verfügung.
Thomasius setzt beim Internet sowie bei Online- und Offline-Games auf mehr Prävention und schärfere gesetzliche Regeln. "Vor allem Eltern und Schulen sind gefordert, die Medienkompetenz rechtzeitig zu fördern und Heranwachsende auf Risiken hinzuweisen. Wir brauchen aber zusätzlich schärfere Altersfreigaben bei Computerspielen." Thomasius fordert, die Freigabe von Spielen ab 0 Jahren abzuschaffen. Auch sollten Computerspiele mit Suchtpotenzial nicht bei Kindern und Jugendlichen beworben werden.
Die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung kam bereits 2015 zu dem Ergebnis, dass bei etwa 5,8 Prozent der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen von einer Computerspiel- oder Internetabhängigkeit auszugehen sei. Weibliche Jugendliche zwischen 12 bis 17 Jahren seien davon stärker betroffen als männliche und die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen, so die Studie. "Mädchen neigen eher dazu, exzessiv Social Media zu nutzen. Bei Computerspielen sehen wir eindeutig, dass Jungen gefährdeter sind", sagt Thomasius. Untersuchungen zeigen, dass Arbeitslosigkeit und Migrationshintergrund Risikofaktoren für internetbezogene Störungen sind. Personen mit geringerem Einkommen oder niedrigerem Bildungsniveau sowie Alleinlebende weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko auf.
Die im Auftrag der DAK durchgeführte Forsa-Umfrage "WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media" kam 2018 zu dem Ergebnis, dass 85 Prozent der 12- bis 17-Jährigen jeden Tag soziale Netzwerke wie WhatsApp, Instagram und Snapchat nutzen – im Durchschnitt 166 Minuten pro Tag. 226 Minuten verbringt diese Altersgruppe mit Online- und Offline-Computerspielen.
Problematisch wird der Medienkonsum dann, wenn die Betroffenen den Umgang mit Internet und Computerspielen nicht mehr unter Kontrolle haben, sich gedanklich damit übermäßig beschäftigen oder schulische und berufliche Aufgaben vernachlässigen. Entzugssymptome wie Gereiztheit, Unruhe, Traurigkeit, erhöhte Ängstlichkeit und Konzentrationsprobleme können ebenfalls auftreten. Verzicht auf Essen und Schlaf sowie das Belügen von Freunden und Familienmitgliedern sind weitere Alarmsignale. Soziale Isolation kann die Folge sein. Thomasius: "Für Eltern und Freunde gilt es, auf diese Symptome zu achten. Häufig sind es die Eltern, die mit ihren Kindern psychotherapeutische Einrichtungen aufsuchen. Selten kommt der Antrieb von den jungen Betroffenen selbst."
Die Abhängigkeit von Social Media steht im Verdacht, mit Depressionen im Zusammenhang zu stehen. Mehr als jeder dritte Jugendliche mit einer "Social Media Disorder" berichtet über Symptome einer Depression, wobei noch zu untersuchen ist, ob die übermäßige Social-Media-Nutzung die Depression auslöst oder ob depressive Kinder und Jugendliche verstärkt in die Online-Welt eintauchen. Auch Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen wie ADHS könnten mit übermäßiger Internetnutzung in Zusammenhang stehen. Assoziiert ist die Social-Media-Sucht mit einem niedrigeren Lebensalter.
"Das Angebot für eine frühzeitige Intervention ist deutlich zu klein", kritisiert Thomasius. Es mangele an Therapieplätzen in Deutschland. "Bei uns am UKE betrifft etwa jeder vierte Behandlungsfall Internet- und Computerspielabhängigkeit. Die Zahlen steigen." Therapieangebote reichen von Beratungsterminen bis zu teilstationärer und vollstationärer Behandlung. "Die Angebote müssen darauf abzielen, Kinder und Jugendliche zu einem verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien zu befähigen. Die Erfolgschancen einer Therapie sind deutlich besser als beispielsweise bei Drogenabhängigkeit", betont Thomasius.
Peter Missel, Präsident der mitveranstaltenden Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dg sps), weist darauf hin, dass die Prävention auch pädagogische Anforderungen an die Eltern stellt: "Es geht darum, dass die Eltern Kindern und Jugendlichen Sicherheit im sozialen Kontakt vermitteln. Eltern sollten zudem das Selbstwertgefühl, die emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz ihrer Kinder fördern und sie zu mehr Freizeitaktivitäten in der Offline-Welt motivieren." Die Eltern sollten Regeln für die Online-Aktivitäten ihrer Kinder festlegen, in welchem Rahmen Smartphone, Tablet und Computerspiele genutzt werden dürfen.