Auch Krebsstammzellen stellen Kontakte zu Nervenzellen her. Die gezielte Beeinflussung des Nervenwachstums in Tumoren könnte neue Wege für die Krebstherapie eröffnen.
Stammzellen können eine Vielzahl von spezifischen Geweben erzeugen und werden medizinisch zunehmend für den Ersatz von Knochen oder Knorpeln eingesetzt. Stammzellen sind aber auch in Krebsgeweben vorhanden, wo sie am Fortschreiten von Tumoren und an der Metastasierung beteiligt sind. Nerven wiederum sind wesentlich für die Regulierung der physiologischen und regenerativen Prozesse, an denen Stammzellen mitwirken. Über die Wechselwirkungen zwischen Stammzellen und Neuronen in sich regenerierenden Geweben und bei Krebserkrankungen ist jedoch wenig bekannt.
Ein Forscherteam unter der Leitung von Thimios Mitsiadis, Professor am Institut für Orale Biologie der Universität Zürich, hat nun zwei Studien zum Thema veröffentlicht. Sie zeigen, wie Stammzellen das neuronale Wachstum bei der Geweberegeneration und beim Fortschreiten von Krebserkrankungen fördern. In der ersten Arbeit verglichen die WissenschaftlerInnen die Interaktion von Neuronen mit zwei verschiedenen menschlichen Stammzelltypen: Zahnmark- und Knochenmarkstammzellen. Beide können zu verschiedenen Zelltypen wie Knochen-, Knorpel- und Fettzellen ausreifen. Knochenmarkstammzellen werden aus Skelettknochen isoliert und sind der Goldstandard für die Knochenregeneration. Eine vielversprechende Alternative sind Zahnmarkstammzellen, die aus dem Zahninnern gewonnen werden.
Für ihre Arbeit nutzten die Forschenden die "Organ-on-a-Chip"-Technologie – kleine 3D-Biochips, die die Grundfunktionen menschlicher Organe und Gewebe simulieren. Sie konnten zeigen, dass beide Arten von Stammzellen das Wachstum von Nervenzellen fördern. Die Zahnmarkstammzellen brachten jedoch im Vergleich zu den Knochenmarkstammzellen bessere Ergebnisse: Sie erzeugten länglichere Neuronen, bildeten dichte neuronale Netzwerke und stellten enge Kontakte zu den Nerven her.
"Dentale Stammzellen produzieren spezifische Moleküle, die für das Wachstum und die Anziehung von Neuronen zentral sind. Sie sind deshalb reichlich innerviert", sagte Mitsiadis. Aufgrund der Bildung solch ausgedehnter Netzwerke und der Herstellung zahlreicher Kontakte vermuten die WissenschaftlerInnen, dass dentale Stammzellen intakte Verbindungen mit Gesichtsnerven herstellen. "Daher sind diese Zellen eine vielversprechende Option für die Regeneration von funktionsfähigem, korrekt mit Nerven ausgestattetem Gesichtsgewebe", ergänzte Co-Autor und Juniorgruppenleiter Pierfrancesco Pagella.
In der zweiten Studie untersuchte das Forscherteam die Interaktion zwischen Nerven und Krebsstammzellen, die beim Ameloblastom – einem aggressiven Mundkrebs – gefunden wurden. Sie zeigten zunächst, dass Ameloblastome Stammzelleigenschaften besitzen und von Gesichtsnerven innerviert werden. Isolierte Ameloblastomzellen behielten selbst in den "Organ-on-a-Chip"-Geräten ihre Stammzelleigenschaften, zogen Nerven an und stellten Kontakt mit ihnen her.
"Es scheint, dass Nerven für das Überleben und die Funktionsfähigkeit von Krebsstammzellen von grundlegender Bedeutung sind", erklärte Pagella. "Unsere Ergebnisse schaffen neue Möglichkeiten für die Krebsbehandlung mit Medikamenten, die in die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Krebsstammzellen eingreifen", fügte Mitsiadis hinzu. Die Kombination aus modernen molekularen und bildgebenden Verfahren sowie der "Organ-on-a-Chip"-Technologie ermögliche es, die Funktionen von Neuronen und ihre Wechselwirkungen mit verschiedenen Stammzelltypen sowohl im gesunden als auch im kranken Gewebe zu untersuchen, so Mitsiadis abschließend.