Auf Instagram findet man auch bildliche Darstellungen von Suizid und Selbstverletzung. Sie sind präsent und teilweise äußerst explizit. Florian Arendt von der Universität Wien, hat jetzt gemeinsam mit Wissenschaftern der Universität Pennsylvania und der KU Leuven die Wirkung solcher Darstellungen untersucht.
Die Tatsache, dass eine explizite, detaillierte Beschreibung und Abbildung der Suizidmethode in Medien Nachahmungseffekte begünstigen kann, ist in zahlreichen Studien für das Fernsehen und Tageszeitungen nachgewiesen. Dies ist in der Literatur bereits als "Werther-Effekt" bekannt. Wie es sich mit solchen Inhalten auf Instagram verhält, untersuchte nun Florian Arendt vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit einem internationalen Forscherteam.
Konkret führten die Forschenden in den USA im Abstand von rund einem Monat eine webbasierte Befragung in zwei Wellen mit insgesamt 729 ProbandInnen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren durch. Dabei fanden sie heraus, dass eine überraschend große Anzahl der UserInnen (43 Prozent) bereits mit Suizid- oder Selbstverletzungsinhalten auf Instagram persönlich in Berührung gekommen war. Die Mehrheit dieser UserInnen (64 Prozent) gab "emotionale Verstörung" als Reaktion auf diese Zuwendung an. Nur 20 Prozent gaben an, bewusst nach Suizid- oder Selbstverletzungsinhalten auf Instagram gesucht zu haben. Das heißt, dass ein Großteil der UserInnen diese Inhalte ohne gezielte Suchabsicht, also zufällig und unbeabsichtig, gesehen hat.
Im Querschnitt zeigte sich ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Anschauen von Suizid- oder Selbstverletzungsinhalten (z.B. Fotos mit Ritzen, kurze Videoclips mit Suiziddarstellungen) und häufigeren Suizidgedanken, einer größeren Hoffnungslosigkeit, weniger Gründen selbst am Leben zu bleiben (d.h. weniger "Reasons for Living") und mehr (selbst-berichtetem) selbstverletzendem Verhalten.
Die Zuwendung zu problematischen Inhalten sagte (auch im Längsschnitt) eine Verschlechterung von Suizidgedanken, Hoffnungslosigkeit, Reasons for Living, und selbstverletzendem Verhalten zwischen den beiden Befragungswellen voraus. Die Zuwendung zeigte jedoch keinen Effekt auf konkrete Suizidpläne (d.h. eine konkrete Verhaltensabsicht) der UserInnen.
"Sowohl KommunikationswissenschafterInnen und SuizidexpertInnen, aber auch Eltern haben in der jüngsten Vergangenheit Besorgnis über diese expliziten Inhalte auf Instagram geäußert. Unsere Ergebnisse liefern Evidenz dafür, dass diese Besorgnis gerechtfertigt ist", sagt Florian Arendt von der Universität Wien, Erstautor der Studie. "Zwar kann diese Befragungsstudie keine Werther-Effekte im Sinne eines Anstiegs der Suizidrate nachweisen, die Analysen deuten jedoch auf problematische Konsequenzen dieser Inhalte hin. Darstellungen von Suizid- und selbstverletzendem Verhalten auf Social Media wie Instagram gehören stärker in den Fokus unserer Aufmerksamkeit."
"Betreiber von Social Media Plattformen wie Instagram haben eine wichtige gesellschaftliche Verantwortung ", meint Arendt. Instagram hat unlängst verlautbart, sich dem Thema stärker annehmen zu wollen und explizite grafische Darstellungen von Suizid und Selbstverletzung zu verbannen. "Ein guter und wichtiger Schritt", so Arendt. Dieser Ansicht schließen sich auch die Ko-Autoren der Studie, Sebastian Scherr von der KU Leuven (Belgien) und Daniel Romer von der Universität Pennsylvania (USA) an. Die Ergebnisse dieser Studie bekräftigen die Wichtigkeit einer raschen und verantwortungsvollen Umsetzung dieses Vorhabens.
"Es soll allerdings nicht zu einer Tabuisierung von Suizid oder Selbstverletzung kommen. Das präventive Potential von Instagram sollte besser als bislang genützt werden, indem etwa vulnerablen UserInnen verstärkt Hilfsangebote kommuniziert werden und sie dadurch online Unterstützung finden. Inhalte hingegen, von denen wir empirische Evidenz besitzen, dass diese Nachahmungseffekte begünstigen – wie etwa detaillierte, grafische, explizite Darstellungen – sollten nicht öffentlich und derart leicht zugänglich sein. Vor allem auch, wenn man an die Jüngsten unserer Gesellschaft denkt", so Arendt.
Bei der vorliegende Studie handelt es sich um eine nicht-repräsentative Stichprobe von jungen Erwachsenen. Es wurde kein klinisches Sample getestet. Zudem kann ein mehrwelliges Panel-Design zwar die Interpretation kausaler Effekte erleichtern, jedoch kann Kausalität nicht bewiesen werden, wie dies etwa bei einer randomisierten kontrollierten Studie der Fall wäre. Letzterem Forschungsdesign sind im Suizidpräventionsbereich jedoch auf Grund ethischer Bedenken bei gewissen Fragestellungen zurecht Grenzen gesetzt.
Quelle: Universität Wien