Intensivmedizinisch häufig beobachtet: Das "Lazarus-Phänomen"

Laut einer Umfrage haben bereits viele Intensivmedizinerinnen und -mediziner bei ihrer Arbeit das "Lazarus-Phänomen" beobachtet, wenn scheinbar Tote plötzlich wieder Lebenszeichen zeigen.

*verfasst am 08. Juli 2020, aktualisiert am 26. Januar 2023

37 bis 50 Prozent der befragten AnästhesistInnen und IntensivmedizinerInnen weltweit haben derartige Phänomene schon erlebt

Ein internationales Team aus NotfallmedizinInnen des University Hospitals Morecambe Bay Trust (UK), des Universitätsspitals Lausanne (CH), des Bozner Forschungszentrums Eurac Research (I) und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg (A) hat zum ersten Mal alle in der medizinischen Fachliteratur publizierten Fälle im Bereich der erweiterten Wiederbelebung durch professionelle HelferInnen – 65 seit 1982 – systematisch analysiert. Die Erkenntnisse könnten sich auf die gesamte Notfallmedizin auswirken.

Warum es Minuten nach einer erfolglos beendeten Wiederbelebung zu einer spontanen Rückkehr der Lebensfunktionen kommt, ist bislang unbekannt, doch ist dieses Ereignis keinesfalls selten. Das zeigen weltweite Umfragen, wo 37 bis 50 Prozent der befragten AnästhesistInnen und IntensivmedizinerInnen angeben, derartige Phänomene schon erlebt zu haben. Die vier Forscher Les Gordon, Mathieu Pasquier, Hermann Brugger und Peter Paal finden bei ihrer Durchforstung der gesamten medizinischen Literatur, in der das Phänomen 1982 erstmals beschrieben wird, allein 65 dokumentierte Fälle. "Wir vermuten aufgrund unserer Analysen, dass das Lazarus-Syndrom viel häufiger auftritt als es in der Literatur aufscheint", schlussfolgert Les Gordon, Hauptautor der Studie und britischer Notfallmediziner.1

Nach Herz-Lungen-Wiederbelebung: Patientenbeobachtung mithilfe eines Elektrokardiagramms 

Unter "Lazarus-Phänomen" fasst das Forscherteam alle Fälle von NotfallpatientInnen mit Herzkreislaufstillstand zusammen, die nach der Herz-Lungen-Wiederbelebung aufgegeben wurden und dann eine spontane Rückkehr des Kreislaufs hatten. Es bezieht sich nicht auf die Wiederbelebung durch Laien. Von den 65 beschriebenen Fällen hat ein Drittel (22 Personen) den Kreislaufstillstand überlebt, 82 Prozent davon – also 18 PatientInnen – ohne neurologischem Dauerschaden. "Auch wenn es wenige scheinen, sind die Konsequenzen doch beträchtlich, wenn man an das beteiligte medizinische Personal, die Angehörigen, die rechtlichen Konsequenzen und die tägliche Anzahl der Patienten denkt, die Wiederbelebungsmaßnahmen benötigen", unterstreichen die Mitautoren Hermann Brugger, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research, und Peter Paal von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. "Die Tatsache, dass die Mehrheit der Überlebenden keine Folgeschäden aufwies, ist von allergrößter Bedeutung", schließt Forscherkollege Mathieu Pasquier.1

Aufgrund ihrer Erkenntnisse geben die vier Forscher in ihrer Studie eine Reihe von Empfehlungen, die wichtigste: Nach Beenden einer Herz-Lungen-Wiederbelebung sollen PatientInnen noch mindestens zehn Minuten mithilfe eines Elektrokardiagramms beobachet und überwacht werden. Denn bei den 65 dokumentierten Fällen traten die Lebenszeichen im Durchschnitt nach fünf Minuten auf, die meisten innerhalb von zehn Minuten.

Das Lazarus-Phänomen im deutschsprachigen Raum

Die zitierte Studie befasst sich mit der internationalen Bedeutung des Lazarus-Phänomens, also dem spontanen Wiedereinsetzen einer Kreilauffunktion bei Patientinnen und Patienten, die bereits für tot gehalten wurden. 

Im deutschsprachigen Raum allerdings, kann der Begriff auch eine andere Bedeutung haben: Scheinbare Lebenszeichen hirntoter Patienten werden auch als Lazarus-Zeichen betitelt. Diese reflektorischen Bewegungen werden spontan oder durch Berührung ausgelöst, wobei sie zumeist in den Armen oder Beinen auftreten. Zwar zählen diese Bewegungen zu typischen Erscheinungen während des Hirntods, allerdings werden sie teilweise dennoch als Lebenszeichen fehlinterpretiert und können so zu einer psychischen Belastung werden.2

Referenzen:

  1. Gordon et al.: Autoresuscitation (Lazarus phenomenon) after termination of cardiopulmonary resuscitation - a scoping review Scandinavian Journal of Trauma, Resuscitation and Emergency Medicine (2020) 28:14. DOI: https://doi.org/10.1186/s13049-019-0685-4
  2. T. Bein et al.: Hirntodbestimmung und Betreuung des Organspenders: Eine Herausforderung für die Intensivmedizin. Deutsches Ärzteblatt (2005) 102: A-278.