Interview mit Anna Barbara Sum, Mitgründerin des Vereins Junge Helden, über die Aufklärung Jugendlicher zur Organspende und Vorteile der Widerspruchslösung.
Es gibt in Deutschland eine zu geringe Zahl von Organspendern, sodass Menschen häufig mehrere Jahre auf eine Spende warten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plant deshalb, jeden zum Organspender machen, der nicht widerspricht. Die sogenannte Widerspruchslösung wird aktuell parteiübergreifend diskutiert. Spahns Vorstoß führte dazu, dass unter anderem die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock den Vorschlag einbrachte, bei Beantragung oder Verlängerung des Personalausweises abzufragen, ob jemand bereit ist, nach dem Tod seine Organe zu spenden. Verschiedene Informationskampagnen änderten nichts daran, dass die Organspenderzahl seit Jahren auf niedrigem Niveau verharrt.
Der Verein "Junge Helden" verfolgt das Ziel, insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene über das Thema Organspende aufzuklären und zu einer Entscheidung pro oder contra zu motivieren. Neben Schulbesuchen machen sich bei Jugendlichen bekannte Prominente wie die Moderatoren Klaas Heufer-Umlauf und Johanna Klum für Organspende stark. Im Interview mit esanum spricht Anna Barbara Sum, Projektleiterin und Mitgründerin des Vereins, darüber, wie junge Menschen über Organspende denken, wie der Verein Jugendliche erreicht und was sie von der Widerspruchslösung hält.
esanum: Die Zahl der Organspender ist mit Ausnahme von 2018 in den vergangenen Jahren gesunken – trotz einiger Kampagnen. Warum ist es aus Ihrer Sicht nicht gelungen, mehr Menschen dazu zu bewegen, Organspender zu werden?
Sum: Dafür gibt es viele Gründe, von denen wir zwei nennen wollen. Zum einen ist beim Klinikpersonal das Vertrauen in die Vergabepraxis gesunken, nachdem die Manipulationen an den Wartelisten bekannt wurden. Dadurch sind die ohnehin schon niedrigen Meldezahlen von Hirntoten – und damit möglichen Organspendern – nochmals gesunken. Diese waren schon niedrig, da eine Organentnahme für die Kliniken mit hohen Kosten verbunden ist. Zum anderen hat die seit 2012 geltende Entscheidungslösung nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Sie hat nicht dazu geführt, dass sich die Menschen aktiv damit auseinandersetzen, ob sie Organe spenden wollen oder nicht. Somit besteht nach wie vor eine hohe Diskrepanz zwischen der positiven Einstellung gegenüber der Organspende und den tatsächlich gespendeten Organen.
esanum: Als Verein Junge Helden wollen Sie insbesondere junge Menschen motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Was wissen jüngere Menschen über Organspende? Was sind ihre Vorbehalte?
Sum: Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass gerade junge Menschen dem Thema Organspende sehr offen und eher positiv gegenüberstehen. Das ist auch das Ergebnis einer Meinungsumfrage, die wir gemeinsam mit respondi durchgeführt haben. 66 Prozent der 16- bis 29-Jährigen können sich gut vorstellen, die eigenen Organe zu spenden. Sie sind meistens sehr wissbegierig und stellen viele Fragen zum Prozess der Organspende.
esanum: Sie sind ein Verein, der ehrenamtlich tätig ist. Sie gehen unter anderem an Schulen, um dort zu informieren. Wie muss man Jugendliche ansprechen, um sie zu motivieren, sich mit dem Thema zu beschäftigen und gegebenenfalls selbst zum Organspender zu werden?
Sum: Wir waren 2003 selbst mit der Situation konfrontiert, dass unsere Gründerin Claudia Kotter eine neue Lunge benötigte, da sie an Sklerodermie erkrankt war. Als wir begannen, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen, merkten wir schnell, dass das wenige vorhandene Informationsmaterial nicht altersentsprechend war. Es war trocken und eintönig. Jedenfalls sprach es uns nicht an. Wir haben daraufhin Informationsmaterial entwickelt, mit dem wir den Jugendlichen auf Augenhöhe begegneten und das Spaß machte, sich anzuschauen und zu lesen. Besonders deutlich wurde das in unserem Aufklärungsfilm "Entscheidend ist die Entscheidung", den wir in Schulen und bei anderen Veranstaltungen zeigen. Darin beleuchten wir das Thema Organspende aus verschiedenen Blickwinkeln, ohne dass es dabei auch nur eine Sekunde langweilig wird. Wir haben jedes Mal die Erfahrung gemacht, dass der Film wie ein Eisbrecher wirkt und die Diskussion danach sehr offen geführt wird.
esanum: Wie bewerten Sie das Engagement von Krankenkassen, Kliniken und Ärzten im Bereich Organspende? Machen die genug, um dafür zu werben?
Sum: Das ist schwierig, allgemein zu beantworten. Wir haben immer wieder Kontakt mit sehr engagierten Ärztinnen und Ärzten, die viel tun, um an ihrer Arbeitsstätte über Organspende aufzuklären. Wir begrüßen aber auch die von Gesundheitsminister Jens Spahn vorangebrachten strukturellen Nachbesserungen: So ist beispielsweise geplant, Transplantationsbeauftragte für ihre Arbeit in den Krankenhäusern freizustellen; aber auch, dass die Entnahmekrankenhäuser für jede Organspende refinanziert werden, sodass sie kein Minusgeschäft mehr machen.
esanum: Jens Spahn räumt dem Thema Organspende eine hohe Priorität ein. In der Diskussion steht unter anderem die Einführung der Widerspruchslösung. Inwieweit könnte dieser Paradigmenwechsel die Zahl der Spender Ihrer Meinung nach erhöhen?
Sum: Wir denken, dass die Widerspruchslösung gemeinsam mit den oben genannten Änderungen in den Krankenhäusern tatsächlich dazu führen kann, dass mehr Organe gespendet werden können. Für uns ist sie eine angemessene Reaktion darauf, dass die aktuelle Regelung der Entscheidungslösung einfach nicht funktioniert, weil die Menschen immer noch zu wenig mit dem Thema in Berührung kommen. Sie ist auch eine Möglichkeit, sich an der ungebrochen hohen Spendebereitschaft zu orientieren.
Denn immerhin stehen laut der Repräsentativbefragung 2018 der BZgA 84 Prozent der Befragten der Organspende eher positiv gegenüber. Laut unserer Umfrage mit respondi befürworten außerdem 39 Prozent der Befragten die Einführung der Widerspruchslösung, während 36 Prozent die Beibehaltung der Entscheidungslösung präferieren. Gerade diejenigen, die sich gut informiert fühlen, plädieren übrigens für eine Gesetzesänderung. Wir denken, dass es angesichts der Tatsache, dass täglich drei Menschen auf der Warteliste sterben, der Bevölkerung zuzumuten ist, sich für oder gegen Organspende entscheiden zu müssen. Wichtig ist, dass jeder und jede eine Entscheidung selbstbestimmt und informiert treffen kann.
esanum: Was muss man tun, wenn man bei Ihnen mitmachen will? Wie könnten sich zum Beispiel Ärzte einbringen?
Sum: Eine E-Mail an uns reicht: info@junge-helden.org! Wir nehmen auf Informationsveranstaltungen gerne medizinisches Fachpersonal mit, um die Zuhörerinnen und Zuhörer möglichst genau über medizinische Vorgänge wie den Hirntod oder organisatorische Abläufe bei einer Organspende zu informieren. Aber auch weniger zeitintensives Engagement ist uns hochwillkommen: Auf unserer Facebook-Seite kommt es immer wieder zu Diskussionen, die von einer dezidiert medizinischen Sichtweise noch mal profitieren könnten.