Auch Strafgefangene brauchen eine medizinische Versorgung. Im Gefängnis in Lingen betreiben Niedersachsen und Bremen ihr Justizkrankenhaus. Aber der Justiz fehlen Ärzte und Pfleger.
Der Blick aus dem Patientenzimmern bleibt an vergitterten Fenstern hängen. Besucher müssen an der Pforte ihren Ausweis zeigen, ihre Handys abgeben und durch eine Schleuse gehen. Die Patienten kommen entweder mit dem Gefangenentransport oder werden in einem vergitterten Krankenwagen gebracht. Im Justizkrankenhaus Lingen ist vieles anders als in öffentlichen Kliniken.
"Unser medizinisches Spektrum ist vergleichbar mit dem eines kleinen Krankenhauses", sagt Salomon Nadjiri, der das Justizkrankenhaus für die Bundesländer Niedersachsen und Bremen leitet. Die Knast-Klinik ist Teil der Justizvollzugsanstalt Lingen. 77 Betten hat die Klinik. In den vergangenen Jahren wurden zwischen 600 und 650 Patienten pro Jahr behandelt.
Alle Fenster sind vergittert, auf den Mauerspitzen des Geländes schlängelt sich Stacheldraht. Auf den Fluren herrscht hingegen eine freundliche Atmosphäre. Große Bilder an den weißen Wänden lockern die Stimmung auf. Aber jede Tür ist verschlossen, und jeder Patient muss von Justizbediensteten aus dem Krankenzimmer in den Behandlungsraum gebracht werden. Frei bewegen können sich die Patienten nicht. Daraus folgt eine Besonderheit: Sie dürfen auf den Zimmern rauchen, denn nach draußen können sie ja nicht.
Benötigen Strafgefangene in niedersächsischen Gefängnissen medizinische Hilfe, werden sie zunächst in den Haftanstalten betreut, in denen sie einsitzen. Dort sind nach Angaben des Justizministeriums 26 Vollzeitstellen für Ärzte vorgesehen, wobei einige Mediziner in Teilzeit arbeiten.
Vor allem die Behandlung von Drogen- und Suchtkrankheiten bestimme den Krankenhausalltag im Justizkrankenhaus, erzählt Nadjiri. "Viele müssen erst einmal einen Entzug bekommen. Dabei arbeiten wir mit Substitution, damit haben wir gute Erfahrungen gemacht."
Ein Problem wird für das Justizkrankenhaus immer dringlicher: Es ist schwer, neue Ärzte zu gewinnen. So habe die Abteilung für Innere und Allgemeinmedizin derzeit keinen medizinischen Leiter. "Dadurch sind wir gezwungen, Patienten im öffentlichen Krankenhaus zu behandeln", sagt Anstaltsleiter Meik Portmann. Problematisch sei, dass das JVA-Personal dann für die Bewachung sorgen müsse - pro Tag fielen deshalb sechs Justizbeamte für den Dienst im Gefängnis aus.
Probleme schildert auch Uwe Oelkers, Chef des Verbandes Niedersächsischer Strafvollzugsbediensteter, der seit fast 30 Jahren in der JVA Rosdorf bei Göttingen beschäftigt ist. Manche Ärzte wollten nicht, dass ein gefesselter Gefangener durchs Wartezimmer geführt wird. Außerdem fehlten die Kollegen, die Häftlinge zu Arzt- oder Gerichtsterminen begleiten. Dies gelte vor allem für die aufwendige 24-Stunden-Betreuung in Kliniken.
Die Gefangenen hätten heute häufiger als früher Probleme mit Drogen und Alkohol. Es seien auch mehr von ihnen psychisch krank. Bedarf gebe es deshalb auch bei den Gefängnispsychologen, die händeringend gesucht würden, sagt Oelkers. Auch Ärzte und Pflegekräfte seien für das Justizkrankenhaus inzwischen schwer zu finden, sagt die JVA-Personalratsvorsitzende Antje Tieding.
Ob Telemedizin eine Lösung für den Medizinermangel im Justizvollzug sein könnte, glaubt Anstaltsleiter Portmann nicht. "Ich denke, im Justizministerium in Hannover wird man mit Interesse einen Pilotversuch in Baden-Württemberg verfolgen", sagt er. Aber ein eigenes Krankenhaus lasse sich damit wohl nicht ersetzen. Vielleicht biete Telemedizin aber eine Möglichkeit, die Krankenabteilungen der einzelnen Gefängnisse im Land zu unterstützen.
Viele Details seien bei der Telemedizin noch nicht geklärt, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. "Zukünftig könnten Fernbehandlungen die derzeit bereits angebotenen regelmäßigen Sprechstunden ergänzen, wobei auch regionale oder anstaltsspezifische Lösungen denkbar erscheinen." Sprechstunden vor Ort könne Telemedizin aber sicher nicht ersetzen.