Die Sozialgerichte in Nordrhein-Westfalen ächzen unter einer Klagewelle von Krankenkassen gegen Kliniken. Zahlreiche Kassen haben im vergangenen November innerhalb weniger Tage allein bei den acht NRW-Sozialgerichten rund 10.000 Klagen wegen möglicherweise zu viel bezahlter Behandlungskosten eingereicht.
"Die Situation ist dramatisch", sagte der Vizepräsident des Landessozialgerichts, Martin Löns, am Mittwoch in Essen. Durch den hohen Aufwand für diese Fälle werde sich voraussichtlich auch bei anderen Verfahren, etwa Hartz-IV-Klagen, die Verfahrensdauer verlängern. Zuletzt dauerte ein Verfahren vor einem NRW-Sozialgericht im Durchschnitt knapp 13 Monate.
Auslöser der Klagewelle ist eine Gesetzesänderung, mit der der Bundestag kurzfristig die Verjährungsfrist für solche Klagen auch rückwirkend verkürzt. "Die Klagen sind für uns ein Wundertüte", sagte Löns. Häufig seien sie beim falschen Gericht eingereicht worden, so dass die Klagen an andere Gerichte geschickt werden müssten. Vielfach seien einzelne Behandlungsfälle in einer Klage zusammengefasst worden, die aber alle einzeln mit Hilfe von Gutachten geklärt werden müssten.
In der Summe könnten es deshalb in NRW rund 50.000 Verfahren sein. Dabei gehe es um viel Geld. In einem Verfahren fordere eine Kasse für 400 Behandlungsfälle 6,7 Millionen Euro zurück. Löns hofft, dass andere Zweige der NRW-Justiz die Sozialgerichte kurzfristig mit Personal unterstützen.
Klagen aus dem Bereich Krankenversicherung machen den Sozialgerichten nach Löns Angaben ohnehin zunehmend Arbeit. Klagen gegen Krankenhausabrechnungen seien zu einem wachsen Geschäftsfeld für Fachanwälte geworden. "Das wächst und wächst", sagte Löns. Deshalb müssten Möglichkeiten gefunden werde, Streit um Krankenhausrechnungen außergerichtlich zu lösen. Schiedsverfahren oder Mediationen seien möglicherweise dafür geeignet.
Insgesamt sind an den NRW-Sozialgerichten im vergangenen Jahr knapp 97.000 Klagen eingegangen, rund 11.400 mehr als 2017. Den größten Anteil an den Verfahren haben mit gut 30 Prozent Klagen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Zahl der am Jahresende unerledigten Verfahren stieg um 13 Prozent auf rund 101.500.