Vom 27. bis 30. November trifft sich die Fachwelt zum größten europäischen Kongress für psychische Gesundheit in Berlin. Das hochkarätig besetzte Kongress-Programm der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) thematisiert in diesem Jahr besonders die Notwendigkeit der Behebung von Personalengpässen in der Versorgung. Eine wichtige Stellungnahme bezieht sich außerdem auf die bereits bestehenden und langfristig zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit.
Bei seiner Eröffnungsrede betonte DGPPN Präsident Andreas Heinz die Unterstützung der Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung nach einer Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens und einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C über dem präindustriellen Niveau.
Laut Stellungnahme gehe es dabei nicht nur um die Stress und Angst auslösenden direkten und indirekten Erfahrungen von Katastrophen, die im Zusammenhang mit Klimaveränderungen und Wetterextremen stehen, sondern langfristig um die Auswirkungen des Klimawandels, wie zum Beispiel klimabedingte Bevölkerungsmigration, Nahrungsmittelknappheit, schlechte Lebensmittelqualität, ein potenzieller Anstieg übertragbarer Krankheiten oder Luftverschmutzung. All diese Veränderungen seien ursächlich mit negativen Folgen für die psychische Gesundheit verknüpft, wobei Menschen mit bereits bestehenden psychischen Krankheiten in ihrer Vulnerabilität solchen Faktoren gegenüber besonders empfänglich seien. Nicht zuletzt steige bei klimabedingten Katastrophen der Bedarf an psychiatrischen Diensten, die jedoch gerade dann häufig schlechter verfügbar seien.
Prof. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, sprach auf der Eröffnungspressekonferenz am Mittwochnachmittag dann auch von seinen persönlichen Erfahrungen im Einsatz als Notfallpsychiater bei der Flutkatastrophe nach Hurricane Katrina und bestätigte die Schwere der Auswirkungen auf die seelische Verfassung der Ersteinsatzkräfte. Polizisten, Soldaten oder Feuerwehrleute wurden von den Ereignissen in substanziellem Ausmaß betroffen, berichtete er, teilweise auch retraumatisiert. Posttraumatische Belastungsstörungen, so Meyer-Lindenberg, treten in der Folge solcher Naturkatastrophen auf – prognostisch sei mit einem Anstieg zu rechnen.
Deutliche Worte fand Gudrun Schliebener, Vorsitzende des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK). Klar wird hier, wie unmittelbar die zunächst so distinkt scheinenden Bereiche von Forschung, Versorgung und Klimaschutz miteinander verknüpft sind: "Forschung ist im Bereich der Psychiatrie wichtig und notwendig, aber aus unserer Sicht darf Forschung nicht zum Selbstzweck werden. Alle Resultate, die sich beispielsweise aus der Entwicklung moderner, bildgebender Verfahren entwickeln lassen oder neue Erkenntnisse über genetische Zusammenhänge im Bereich der Biomarker müssen Eingang in die Versorgung finden. Und nicht erst in 50 Jahren. Das heißt, sie müssen den Betroffenen und ihren Angehörigen direkt zugute kommen."
So betonte Schliebener die Wichtigkeit, Betroffene und Angehörige in Forschung und Entwicklung als kritische Beobachtende mit einzubeziehen. Auch müsse der Aufwand evaluiert werden, den betroffene Familien leisten, denn Familien seien nach wie vor der größte Hilfeverbund für psychisch erkrankte Menschen. Dies jedoch werde sich in den nächsten Jahren ändern, da das klassische Familienmodell in seiner (noch) bestehenden Form in der Auflösung begriffen ist.
Schliebener kritisierte dies als "blinden Fleck" im Hilfesystem, der bei der Planung der Versorgung für die kommenden Jahre nicht berücksichtigt werde. Zu selbstverständlich werde die Familie als Hilfe in Anspruch genommen, deren strukturelle Veränderungsprozesse jedoch ignoriert. Familien seien "emotional, sozial und auch finanziell am meisten gefordert", so Schliebener weiter, jedoch gebe es praktisch keine Erhebungen zu den Belastungen, denen sie ausgesetzt seien. "Niemand kümmert sich darum, denn nach wie vor tragen die Familien diesen Riesenanteil: er spielt nur keine Rolle, weil er im finanziellen Versorgungssystem eben auch nicht auftaucht." Dabei könne die finanzielle Belastung durch die Versorgung eines psychisch erkrankten Familienmitglieds durchaus die Größenordnung eines Einfamilienhauses erreichen. Eine Forderung ist, diese Aspekte in einer modernen und zukunftsorientierten Psychiatrieforschung zu berücksichtigen.
Um die Versorgungslage zu verbessern, wurde vom BApK eine Petition im Bundestag eingereicht. Ziel ist, bis zum 24. Dezember 2019 50.000 Unterschriften zu sammeln, damit der Gesetzgeber Maßnahmen für ausreichend Personal und Zeit für eine qualitativ gute Behandlung für Menschen mit psychischen Erkrankungen beschließt. Sie finden die Petition zur Unterschrift hier