Es ist das gemeinsame Ziel im Parlament, zu mehr Organspenden zu kommen. Doch dann hört die Einigkeit schon auf. Im Bundestag gehen die Meinungen stark auseinander, wie weit Änderungen gehen sollten.
Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland zeichnet sich weiterer Streit um neue gesetzliche Regeln ab. In einer kontroversen Debatte warben Abgeordnete am Mittwoch im Bundestag für zwei gegensätzliche Initiativen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte den Vorstoß einer Parlamentariergruppe für eine weitreichende Umstellung. Demnach sollen grundsätzlich alle Volljährigen als Organspender gelten - bis auf Widerruf. Eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock lehnt das ab und schlägt vor, alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende anzusprechen. Über die beiden Gesetzentwürfe soll nun in den Ausschüssen beraten werden. Auch die AfD legte einen Antrag vor.
Einig waren sich die Redner in der gut zweistündigen Debatte im Ziel, die Spendenbereitschaft angesichts von fast 10.000 Menschen auf den Wartelisten zu erhöhen. Das sei kein Warten wie in einer Schlange vor der Kasse, sagte die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. "Sondern Warten in Angst. Denn die Zeit läuft ab." Dabei würden schon Millionen Organspende-Ausweise verteilt, die aber oft unausgefüllt blieben.
Die Zahl der Spender war nach langem Abwärtstrend 2018 erstmals wieder spürbar gestiegen. Zu Beginn dieses Jahres war aber wieder ein Rückgang zu verzeichnen. Im ersten Quartal 2019 gab es 224 Spender - nach 261 im selben Zeitraum des Vorjahres.
Spahn hatte eine Diskussion über Änderungen der bisherigen Rechtslage angestoßen, wonach Organentnahmen nur bei klar erklärtem Ja erlaubt sind. Denn alle Bemühungen mit mehr Informationen hätten nichts gebracht. Eine "doppelte Widerspruchslösung" solle daher nun "einen qualitativen Unterschied" ausmachen, sagte er.
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach sagte, die Widerspruchslösung sei ethisch geboten. Jeder wolle im Zweifel Empfänger eines Organs sein. Dann müsse es zumindest die Pflicht zur Bereitschaft geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und gegebenenfalls zu widersprechen. So würde Spendebereitschaft zum Regelfall, sagte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD). Und ja, davon gehe ein Druck aus. "Aber es ist ein sanfter Druck." Sabine Dittmar (SPD) betonte, für sie habe das Grundrecht auf Leben schwerkranker Menschen höheren Stellenwert "als das Grundrecht auf Nichtbefassung mit einer Thematik".
Mehrere Abgeordnete wandten sich gegen eine so tiefgreifende Umstellung. Baerbock mahnte, in einer so höchstpersönlichen Frage müsse man die Situation jedes einzelnen Menschen im Blick haben. In der Verfassung sei aus guten Gründen die Unversehrtheit des eigenen Körpers verankert. Dietmar Nietan (SPD) sagte: "Ich will nicht, dass Menschen der Einschränkung ihrer Freiheit widersprechen müssen, weil der Staat für sie entschieden hat." Kathrin Vogler (Linke) sagte: "Kein Nein ist noch lange kein Ja." Karin Maag von der CDU warnte davor, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen auf ein nachträgliches Veto zu reduzieren und so Vertrauen in Organspenden zu beschädigen.
Die Abgeordnetengruppe um Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping schlägt stattdessen vor, wiederkehrende Anstöße zur Beschäftigung mit Organspenden zu schaffen. Dazu soll auch ein neues bundesweites Online-Register gehören, in dem man seine Entscheidung für oder gegen eine Organspende eintragen und auch ändern kann. Außerdem sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren.
Die AfD legte einen Antrag vor, der die Widerspruchslösung ebenfalls ablehnt. Damit verkomme der selbstbestimmte Mensch zum "wandelnden Organbehälter", sagte der Abgeordnete Ulrich Oehme. Problematisch seien auch "massive monetäre Interessen" im System. Um Vertrauen zu stärken, müsse eine staatliche Institution die Aufsicht übernehmen.
Wie sich nun die Beratungen in den Ausschüssen entwickeln, muss sich zeigen. Abstimmen sollen die Abgeordneten am Ende ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben. Die Mehrheitsverhältnisse sind aber nur schwer einzuschätzen. Bei einer ersten offenen Debatte im Herbst waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung deutlich geworden. Nun hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer für ihren Gesetzentwurf - darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich nicht an der Debatte beteiligte. Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte 191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.