Der neue Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs soll professionellen Suizidbegleitern das Handwerk legen. Aber auch Palliativmediziner sehen sich und ihre Arbeit bedroht. Einige schwerkranke Kläger erleben die Verhandlung ihrer Verfassungsbeschwerden nicht mehr mit.
Die Initiatoren des Verbots einer geschäftsmäßigen Sterbehilfe haben den neuen Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt. Es habe die Gefahr bestanden, dass Suizidbeihilfe zur normalen Dienstleistung wird, sagte die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese am Dienstag in Karlsruhe. "Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen", ergänzte Michael Brand (CDU). Das Gericht verhandelt zwei volle Tage über etliche Klagen gegen das Verbot. Das Urteil wird frühestens in einigen Monaten verkündet. (Az. 2 BvR 2347/15 u. a.)
Der Brand/Griese-Entwurf hatte sich 2015 im Bundestag gegen drei Alternativvorschläge durchgesetzt. Seither ist die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" in Deutschland verboten. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Angehörige und "Nahestehende", die beim Suizid unterstützen, bleiben straffrei.
Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden.
In Karlsruhe klagen aber nicht nur professionelle Sterbehelfer und schwerstkranke Menschen, die deren Begleitung in Anspruch nehmen möchten, sondern auch Palliativmediziner und andere Ärzte. Denn "geschäftsmäßig" im juristischen Sinne bedeutet nicht gewerblich, sondern so viel wie "auf Wiederholung angelegt". Sie befürchten, sich bei der Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, oder halten Sterbehilfe bei ausweglosem Leiden für moralisch geboten.
Rechtsanwalt Christoph Knauer, der zwei schwerkranke Mitglieder von Sterbehilfe Deutschland vertritt, sagte, professionelle Hilfe sei für beide alternativlos. Angehörige gebe es nicht, oder sie seien nicht zur Unterstützung bereit. Einer der Kläger schilderte selbst, wie befreit er sich gefühlt habe, einen Ausweg gefunden zu haben für den Fall, dass die Schmerzen unerträglich werden sollten. Jetzt sehe er in Deutschland keine Möglichkeit mehr, "würdevoll und mit möglichst geringer Belastung anderer Menschen aus dem Leben zu kommen".
Zwei seiner Mitkläger sind während des langen Verfahrens schon gestorben. Die Richter hatten es abgelehnt, das Gesetz auf einen Eilantrag hin bis zur Entscheidung außer Kraft zu setzen.
Unter den Klägern war auch der Berliner Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold, der sich wegen einer Krebserkrankung kurz vor der Verhandlung das Leben nahm. In einer Botschaft, die für ihn verlesen wurde, bat er die Richter, sich mit den individuellen Schicksalen zu befassen.
Der Zweite Senat unter Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle will sich bis Mittwochabend Zeit nehmen. Am zweiten Tag soll die rechtliche Bewertung im Vordergrund stehen. Voßkuhle warnte vor falschen Erwartungen. Es gehe "nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft, (...) sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafdrohung entgegensetzt".
Am Dienstag befragten die Richter ausführlich Experten aus der Psychiatrie. Diese gehen davon aus, dass nur ein kleiner Teil aller Suizide freiverantwortlich stattfindet, meistens seien psychische Erkrankungen im Spiel. Zur speziellen Gruppe der assistierten Selbsttötungen gibt es allerdings nicht viele Daten. Demzufolge nehmen vor allem höher gebildete, gut situierte, nicht religiöse Menschen solche Angebote in Anspruch - und auffallend viele Frauen. Eigentlich bringen sich Männer deutlich häufiger selbst um.
Der Gründer von Sterbehilfe Deutschland, der Hamburger Ex-Justizsenator Roger Kusch, sagte, ohne seinen Verein hätten Suizidwillige keine Chance, einen assistierenden Arzt zu finden. Der Prozessbevollmächtigte Bernd Hecker nannte es "makaber und zutiefst inhuman", Menschen den Tod im eigenen Bett zu verweigern und sie damit auf brutalere Arten des Suizids zu verweisen.
Die Bundesärztekammer hält Paragraf 217 für richtig. "Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, das Leben zu erhalten", erklärte Präsident Frank Ulrich Montgomery. "Die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid gehören nach den Berufsordnungen aller Ärztekammern in Deutschland nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten."