Jedes achte Krankenhaus ist in erhöhter Insolvenzgefahr, jedes vierte Haus schreibt Verluste: Langfristig sichern nur neue Strukturen die medizinische Versorgung.
Die aktuell verfügbaren Zahlen des Krankenhaus Rating Reports zeigen: Deutschen Krankenhäusern ging es im Jahr 2017 so schlecht wie schon lange nicht mehr. Trotz des demografischen Wandels sanken erstmals die stationären Fallzahlen. "Die Reformen der Vergangenheit waren rein symptomatisch und haben keine moderne und nachhaltige Krankenhausstruktur entstehen lassen", sagt Dr. Sebastian Krolop, einer der Autoren der Studie und Global Chief Operating and Strategy Officer bei der HIMSS. Er fordert ein Umdenken: "Innovative, sektorenübergreifende, digitale und patientenzentrierte Versorgungsmodelle" sind gefordert.
Dadurch wird sich die Rolle von Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken dramatisch ändern – im Sinne des Patienten. Zu diesem und vielen weiteren Ergebnissen kommt die fünfzehnte Ausgabe des Krankenhaus Rating Report, der gemeinsam vom RWI, der hcb GmbH in Kooperation mit der HIMSS und Deloitte erstellt wurde. Datengrundlage des Krankenhaus Rating Report 2019 sind 466 Jahresabschlüsse von Krankenhäusern aus dem Jahr 2016 und 84 aus dem Jahr 2017. Sie umfassen insgesamt 877 Krankenhäuser mit einem am Umsatz gemessenen Marktanteil von 70%.
Im Jahr 2017 kämpften 12 Prozent der Krankenhäuser mit erhöhter Insolvenzgefahr, 5%mehr als im Vorjahr. Die Krankenhäuser im „grünen Bereich“ sanken um 3% auf nun 81%. Mehr als jedes vierte Krankenhaus (28%) schreibt auf Konzernebene rote Zahlen, 2016 waren es nur 13%. Als Grund hierfür gilt die erstmals gesunkene Anzahl stationärer Fälle (minus 0,5%). Das liegt wahrscheinlich sowohl an der zunehmenden Ambulantisierung als auch am Personalmangel, einem höhen Sättigungsgrad bei z.B. kardiologischen und orthopädischen Leistungen sowie intensiveren MDK-Prüfungen. "Ich glaube, dass der Rückgang stationärer Fallzahlen trotz allem kein Ausrutscher ist: Der Bedarf der Patienten verändert sich", so Krolop.
In vielen Regionen sind die Krankenhausstrukturen nach wie vor ungünstig: Hohe Standortdichte, viele kleine Einheiten und eine geringe Spezialisierung senken die Wirtschaftlichkeit der Häuser. Dahingehen stehen große Krankenhäuser oder stark spezialisierte Kliniken besser da. "Im internationalen Vergleich liegen deutsche Krankenhäuser bei wichtigen Kennzahlen wie Verweildauer, Standortdichte oder EMRAM-Digitalisierungsgrad weit abgeschlagen im letzten Drittel", erklärt Krolop.
Die Bürger leben gesundheitsbewusster. Dieser Trend wird gerade auch von großen Technologiekonzernen wie Apple, Google und Amazon getrieben. Die Firmen sammeln enorme Datenmengen und können mit Hilfe von Teleberatungen, Sprachassistenten und künstlicher Intelligenz nicht nur Gesundheitstipps anbieten, sondern auch zunehmend besser Krankheiten vorhersagen und bei deren Vermeidung helfen. Sie beeinflussen schon heute das Verhalten der Patienten und unterliegen teilweise einer anderen Regulatorik. "Auf Grund der bisherigen starken Abschottung des Gesundheitswesens wird die Industrie 4.0 diese angestaubten Strukturen besonders hart treffen", ist der HIMSS-Vorstand Krolop überzeugt.
Das Geschäftsmodell von Krankenhäusern wird sich massiv ändern müssen. Trotz des demographischen Wandels werden immer weniger Patienten auf eine Überkapazität von Kliniken treffen. Es wäre fahrlässig, die alten Strukturen sich selbst zu überlassen und sie nicht aktiv zu transformieren. "Wir brauchen neue sektorenübergreifende Vergütungsmodelle", sagt so auch RWI- Gesundheitsexperte Boris Augurzky.
"You get what you pay for – ohne ein patientenzentriertes und ergebnisorientiertes Vergütungsmodel, welches Innovationen und Investitionen berücksichtigt, werden sich die etablierten Gesundheitsanbieter nicht ändern und werden am Ende von digitalen Gesundheitsplattformanbietern überrannt", kommentiert Krolop. "Der Strukturfond war ein guter erster Ansatz, der nun eingeschlagene Weg zur Selbstkostendeckung bewirkt leider genau das Gegenteil."
Ein weiteres Problem in Krankenhäusern ist der Fachkräftemangel: Wenn sich die heutige Entwicklung bis 2030 fortsetzt, hätten wir eine Nachfrage von 4,9 Millionen und ein Angebot von 3,6 Millionen Vollkräften. Auch wegen der zunehmenden Arbeitszeitverdichtung wird Arbeit im Gesundheitswesen unattraktiver.
"Es sollte sich dringend an den Prozessen etwas ändern. In dem fragmentierten Markt fehlt der Austausch, viel lästige Administration wird noch immer per Hand und Fax erledigt. Die Fachkräfte brauchen virtuelle Unterstützung, um mehr Zeit für Patienten zu haben", konstatiert Krolop. Die Digitalisierung sollte intensiv genutzt werden: Langfristig sollten moderne Technik wie Robotikassistenz und künstliche Intelligenz das Personal im Gesundheitswesen entlasten. Zudem könnte der Fachkräftemangel durch qualifizierte Zuwanderung gemindert werden.