WissenschaftlerInnen des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg haben ein neues Bioinformatik-Werkzeug entwickelt, mit dem sie Krankheitserreger schneller und genauer identifizieren können als mit den bisher in der Diagnostik gebräuchlichen Methoden.
Das Team um Professor Paul Wilmes, dem Leiter der LCSB-Gruppe "Systems Ecology", greift dabei auf Metagenom-Daten zurück: Sämtliche Genom-Schnipsel aus Proben, welche krankmachende Organismen enthalten können, werden im Hochdurchsatz sequenziert. PathoFact gleicht die Gensequenzen mit einer eigenen Datenbank ab. So identifiziert das Bioinformatik-Werkzeug Gene von Mikroben, die entweder für ihre krankmachende Wirkung von Bedeutung sind oder die Bakterien resistent gegen Antibiotika machen. So können die Forschenden bestimmen, welche Pathogene für eine Infektion verantwortlich sind und – bei zukünftigen klinischen Anwendungen – geeignete Therapien vorschlagen. PathoFact hilft WissenschaftlerInnen auch, den Einfluss von Mikroben auf die Entstehung chronischer Erkrankungen wie Parkinson oder Diabetes besser zu verstehen.
Die Ermittlung des Ursprungs von Infektionen erfolgt immer noch mit ähnlichen Methoden wie vor 120 Jahren zu Zeiten Robert Kochs und Louis Pasteurs: Aus Patientenproben werden z.B. Bakterien isoliert, kultiviert und dann bestimmt. Bis man genau weiß, an welcher Infektion der Patient leidet und wie man sie behandeln kann, vergehen oft mehrere Tage. "Im Zeitalter von Hochdurchsatz-Genomsequenzierungen sollte das schneller gehen", sagt Paul Wilmes: "Man muss dazu die richtigen bioinformatorischen Techniken weiterentwickeln und passend miteinander kombinieren."
PathoFact kann unter anderem Echtzeit-Daten benutzen, die Metagenomsequenzierungen stammen. "Dabei werden sämtliche Gene aller Mikroorganismen sequenziert, die sich in einer Probe befinden", erklärt Erstautorin Laura de Nies: "Noch während die Sequenzierung läuft, kann PathoFact die gewonnenen Informationen mit einer eigenen Gen-Datenbank abgleichen." Es sucht dort nach Genen, von denen bekannt ist, dass sie für Virulenzfaktoren oder Antibiotika-Resistenzen verantwortlich sind. Virulenzfaktoren können Proteine sein, die Bakterien das Überleben im menschlichen Körper sichern. Oder giftige Stoffwechselprodukte, die den Körper krank machen.
Für viele Virulenzfaktoren und mikrobielle Strukturen, die für Antibiotikaresistenzen verantwortlich sind, kennen WissenschaftlerInnen bereits die Gensequenzen. Sie sind in der Datenbank hinterlegt. Andere sind hingegen völlig neu. "Die Proteine, für welche die Gene codieren, ähneln bereits bekannten Strukturen. Sie weisen bestimmte Merkmale auf, die charakteristisch für Virulenzfaktoren oder antimikrobielle Resistenzen sind", so de Nies. Nun können die Forschenden grundlegend neues Wissen über Krankheitserreger gewinnen und Arten identifizieren, die bisher nicht für ihre krankmachende Wirkung bekannt sind.
Im Zentrum der bisherigen Untersuchungen stehen chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Parkinson: Bei solchen Erkrankungen steht die inzwischen recht gut belegte Vermutung im Raum, dass Veränderungen in der Zusammensetzung der mikrobiellen Gemeinschaften – dem Mikrobiom – an der Entstehung der Krankheiten beteiligt sind. "Die Bakterien, die auf und in uns leben, stehen im ständigen Konkurrenzkampf miteinander", sagt Prof. Wilmes: "Bestimmte Lebensumstände können dazu führen, dass sich schädliche Organismen stärker vermehren und mit ihren giftigen Stoffwechselprodukten eine Krankheit auslösen." Mithilfe von PathoFact können die WissenschaftlerInnen solche Verschiebungen im mikrobiellen Ökosystem nun schneller und exakter als bisher feststellen – und ihre Grundlagenforschung in Bezug auf chronische Erkrankungen vorantreiben.
Paul Wilmes möchte seine Entwicklung auch der medizinischen Diagnostik zu Gute kommen lassen: MedizinerInnen soll sie ermöglichen, schwere Verläufe von COVID-19-Infektionen besser vorherzusagen. Diese Viruserkrankung wird oft von so genannten Co-Infektionen begleitet. Verursacher sind Bakterien oder andere Viren als SARS-CoV-2. "Wir können diese Krankheitserreger schneller als bisher identifizieren. Medizinern eröffnet das bessere Behandlungsmöglichkeiten, um in Zukunft schwere COVID-19-Verläufe zu verhindern", so Wilmes: "Damit PathoFact in der klinischen Diagnostik eingesetzt werden kann, planen wir, mit einem großen luxemburgischen Diagnostik-Unternehmen zusammenzuarbeiten. Proben, die das Unternehmen nach den etablierten Verfahren untersucht, werden wir parallel analysieren. So wollen wir die hohe Genauigkeit unseres Verfahrens weiter entwickeln und validieren. Damit sollten gefährliche mikrobielle Infektionen in Zukunft schneller und gezielter behandelt werden können."
Quelle:
de Nies, L., Lopes, S., Busi, S.B. et al. PathoFact: a pipeline for the prediction of virulence factors and antimicrobial resistance genes in metagenomic data. Microbiome 9, 49 (2021).