Kritik an unzureichender Versorgungstruktur der PAVK

Neue Studie zeigt: In Deutschland ist die Versorgung von Patient:innen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) mangelhaft. Sie werden nicht entsprechend den Leitlinien behandelt.

DGA kritisiert unzureichende Versorgungsstruktur der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit

In Deutschland ist die Versorgung von Patient:innen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) im ambulanten Sektor mangelhaft. Sie werden nicht entsprechend den Leitlinien behandelt und nur selten durch Gefäßspezialisten versorgt. Dies zeigt eine Analyse der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen aller gesetzlich versicherten Patient:innen über einen Zeitraum von 2009 bis 2018. Über 70 Millionen Patientendaten pro Jahr wurden für die Studie ausgewertet. Zusätzliche Analysen der Klinik für Kardiologie des Universitätsklinikums Münster bestätigen die zu geringe Verschreibung von essenziellen Medikamenten. Die Deutsche Gesellschaft für Angiologie kritisiert die unzureichende Versorgungsstruktur.

Das vergessene Stiefkind der Herz- und Kreislaufmedizin

"Unsere Ergebnisse sind beunruhigend", erläutert Prof. Dr. Christos Rammos, Bereichsleiter und Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitätsklinikum Essen, "vor allem für ein Land wie Deutschland, das ein hoch entwickeltes Gesundheitssystem hat." Die aktuelle Behandlungssituation der Patient:innen bezeichnet Prof. Rammos als schlecht: "Patienten mit PAVK sind in Deutschland unterversorgt. Die PAVK scheint das vergessene Kind der Herz- und Kreislaufmedizin zu sein." Während Disease Management Programme beispielsweise für Diabetes und die Koronare Herzkrankheit existieren, gibt es bislang wenig Anstrengung, die Versorgung für PAVK-Patient:innen zu verbessern.

Diese Situation sei nicht akzeptabel - zumal die Zahl der Betroffenen kontinuierlich steige und die periphere arterielle Verschlusskrankheit schwere Folgeschäden verursachen könne, so Prof. Rammos. "Die PAVK kennzeichnet eine Hochrisiko-Situation, weil mit ihr auch ein hohes Risiko für Komorbiditäten und insbesondere für einen Herzinfarkt und Schlaganfall und damit eine hohe Sterblichkeit verbunden ist."

Die "ambulanten Falldaten" aller gesetzlich versicherten Patient:innen im Zeitraum von 2009 bis 2018 wurden ausgewertet. Das heißt: Alle Patientinnen und Patienten, die sich im Laufe dieser zehn Jahre in einer Arztpraxis behandeln ließen, sind erfasst. Das waren im Jahr 2009 knapp 70 Millionen Menschen und damit 87 Prozent der deutschen Bevölkerung, im Jahr 2018 waren es über 72 Millionen Bundesbürger. Somit wurden für die Studie über 700 Millionen Patientendaten ausgewertet. "Im Mittelpunkt der Studie stand für uns die Frage, wie viele Patienten eine bereits bekannte PAVK hatten, wie diese Krankheit behandelt wurde - und von wem."

Die Prävalenz - also der Anteil der Personen mit einer PAVK an der Gesamtzahl der Erkrankten - stieg von 1,85 Prozent im Jahr 2009 auf 3,14 Prozent im Jahr 2018. Somit litten im Jahr 2018 2,27 Millionen Personen in Deutschland an einer PAVK. Das ist jeder Vierte der über 75-Jährigen. Hier ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des oligosymptomatischen Charakters der Erkrankung und der damit einhergehenden Unterdiagnostik von einer höheren Dunkelziffer auszugehen ist. Die tatsächliche Zahl der Menschen mit PAVK in Deutschland ist sehr wahrscheinlich viel höher als die vorliegenden Analysen zeigen.

Nur wenig Betroffene konsultieren Gefäßspezialist:innen

Nur wenig Betroffene konsultierten jedoch Fachärzt:innen, die sich auf die Behandlung der PAVK spezialisiert haben. "Während mehr als die Hälfte Kontakt zu einem Internisten - 55 Prozent im Jahr 2009 und 57 Prozent im Jahr 2018 - hatte, wurde nur eine Minderheit von Gefäßspezialisten behandelt. Von Gefäßchirurgen wurden 10 Prozent im Jahr 2009 und 11 Prozent im Jahr 2018 behandelt, von Angiologen nur acht Prozent sowohl im Jahr 2009, als auch im Jahr 2018", erläutert Prof. Rammos.

Obwohl der Nutzen von Medikamenten wie Statine und Plättchenhemmer sehr gut belegt ist und daher in den Leitlinien dringlich empfohlen wird, erhielten nur wenige PAVK-Patient:innen diese Medikamente. "In der Studie stellten wir zwar eine steigende, aber immer noch unzureichende Verschreibungshäufigkeit mit Statinen und Plättchenhemmern bei PAVK fest. Nur etwa die Hälfte der Patienten bekam diese Medikamente." Im Beobachtungszeitraum stieg der Anteil der Patient:innen, die Statine verschrieben bekamen, von 42,6 Prozent auf 56 Prozent. Der Anteil, der Plättchenhemmer erhielt, stieg von 40,2 Prozent auf 48,0 Prozent.

Studie belegt Verschreibungsmangel der notwendigen Medikamente

Wie viele der Verschreibungen von den PAVK-Patient:innen dann auch tatsächlich eingelöst werden, hat eine Studie um Dr. Katrin Gebauer der Klinik für Kardiologie und Angiologie des Universitätsklinikum Münster untersucht. "Unsere Analyse zeigt, dass die Rate der eingelösten Rezepte als Indikator für die Einnahme der beiden Medikamente sogar deutlich unter der Verschreibungsrate liegt", betont PD Dr. Nasser Malyar, Leiter der Sektion Angiologie am Universitätsklinikum Münster. Von den ca. 240.000 PAVK-Patient:innen erhielten weniger als ein Drittel jeweils ein Statin und einen Plättchenhemmer und fast die Hälfte aller Betroffenen erhielt keine der beiden Substanzen. Im Kern zeigen die Studien, dass die notwendigen Medikamente bei PAVK-Patienten zu wenig verschrieben und sogar noch weniger eingenommen werden, als es nötig ist.

Prof. Rammos hofft, dass die Ergebnisse der neuen Studien zu einem Umdenken in der Bevölkerung, Politik und in der Medizin führen: "Die Versorgung der Patienten mit PAVK muss verbessert werden. Die Patienten müssen unbedingt entsprechend den Leitlinien behandelt werden. Betroffene sollten die Krankheit nicht unterschätzen und sich zeitnah an einen Gefäßspezialisten wenden."

Ursachenforschung und Strategien notwendig

"Die Versorgungslage der PAVK-Patienten hinsichtlich einer leitliniengerechten Sekundärprävention in Deutschland ist weiterhin mangelhaft. Eine auf die Ursachen fokussierte Forschung ist notwendig, um die Gründe für die unzureichende Umsetzung der evidenzbasierten Empfehlungen zu identifizieren. Zudem müssen Strategien entwickelt werden, um das volle protektive Potenzial einer leitliniengerechten medikamentösen Therapie auszuschöpfen und damit die Gesamtprognose der PAVK-Patienten hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse zu verbessern", betonen Prof. Rammos und PD Dr. Malyar.
 

Quelle:
1. C. Rammos; M. Steinmetz; J Lortz; A.A. Mahabadi; O. Petrikhovich; K. Kirsch; R. Hering; M. Schulz; T. Rassaf. Peripheral artery disease in Germany (2009–2018): Prevalence, frequency of specialized ambulatory care and use of guideline-recommended therapy – A population-based study. The Lancet Regional Health - Europe. Volume 5. June 2021.
2. K. Gebauer; K. Wintersohl; R. Kraska; K. Kortendick; U. Fahrland; E. Freisinger; M. Meyborg; J. Stella; C. Engelbertz; H. Reinecke; N. Malyar. Medication-based secondary prevention in patients with peripheral arterial occlusive disease: An analysis based on secondary data. Herz. 2020.