Patienten mit einem Grauen Star, die sich für die Implantation einer trifokalen Kunstlinse entscheiden, können in mehr als 90 Prozent der Fälle nach dem Eingriff auf eine Brille für Fern-, Nah- und mittlere Sicht verzichten. Die neueste Generation von Kunstlinsen ist jedoch nicht für alle Menschen geeignet.
In Deutschland werden jedes Jahr etwa 700.000 bis 800.000 Augen wegen eines Grauen Stars operiert. Die Behandlung besteht aus der Entfernung der getrübten Linse, die durch eine Kunststoff-Linse ersetzt wird. Erhalten die Patienten eine sogenannte Monofokallinse auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse, müssen sie wählen, ob der Brennpunkt der Kunstlinse scharfe Sicht auf nahe oder weite Distanz ermöglichen soll. "Das Implantat kann – anders als die natürliche Linse – nicht auf verschiedene Entfernungen scharf stellen", erläutert Professor Dr. med. Thomas Kohnen, Präsident der Deutschen Ophthalmologische Gesellschaft. Patienten mit Monofokallinsen sind daher weiterhin auf eine Lese- oder Gleitsichtbrille angewiesen.
Heutzutage kommt der mittleren Sehdistanz eine immer größere Bedeutung zu. Grund: Zunehmend arbeiten Menschen auch im Alter an Laptops oder Tablets, die in Entfernung einer Armlänge von etwa 60 bis 70 Zentimetern gehalten werden. "Die Bifokallinsen haben in diesem Bereich eine Schwäche", berichtet Kohnen. "Viele Patienten, die sonst ohne Brille auskommen, benötigen für mittlere Abstände eine Sehhilfe."
Diese Lücke wird seit Kurzem durch Tri- und neuerdings sogar Quadrifokallinsen mit drei oder vier Brennpunkten geschlossen. "Damit haben wir eine neue Qualität erreicht", erläutert Kohnen. "Die trifokalen Linsen haben definitiv die bifokalen abgelöst, was das Ziel der Brillenfreiheit anbelangt." Eine Übersichtsarbeit, die visuelle Ergebnisse verschiedener Linsenarten vergleicht, bestätigt diese Einschätzung. "Die beiden gängigen trifokalen Linsenmodelle ermöglichen eine gute Sehschärfe im Zwischenbereich, und mehr als 90 Prozent der Patienten kamen nach einer Eingewöhnungsphase auf allen Sichtdistanzen ohne Brille aus", berichtet der DOG-Präsident. Die Zufriedenheit der Patienten war ebenfalls hoch. "Über 90 Prozent erklärten, dass sie sich wieder für die implantierte trifokale Linse entscheiden würden", so Kohnen.
Dennoch rät der DOG-Präsident nicht allen Patienten zu den High-Tech-Linsen, deren Zusatzkosten in Höhe von etwa 1.000 bis 3.000 Euro pro Auge die Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssen; liegt ein Grauer Star vor, beteiligt sich die Kasse an den Kosten. Grund für die Zurückhaltung des Frankfurter Ophthalmologen: Linsen mit mehreren Brennpunkten haben prinzipielle optische Grenzen – Abstriche gibt es etwa beim Kontrastsehen, zudem können Phänomene wie Blendempfindlichkeit, Lichtringe (Halos) oder Sterne (Starburst) auftreten.
"Zwar gewöhnen sich die Augen meist in kurzer Zeit an Halos, und das Gehirn filtert sie gewissermaßen weg", berichtet Kohnen. Die Patienten müssten aber über diese Nachteile aufgeklärt werden, die vor allem in der Dämmerung oder im Dunkeln auftreten. Für Berufsgruppen, die auf ein sehr gutes Sehen in der Ferne, bei schlechten Lichtverhältnissen oder in der Nacht angewiesen sind – beispielsweise LKW-Fahrer –, sind bi- oder trifokale Linsen daher nicht unbedingt geeignet. Nichtsdestotrotz berichten auch viele Patienten, keine Probleme beim nächtlichen Fahren nach Implantation dieser Intraokularlinsen zu haben. "Am meisten profitieren Berufsgruppen mit Überkopfarbeiten wie Mechaniker und Handwerker von trifokalen Linsen", erläutert Kohnen. Sie können bei ihren Tätigkeiten auf eine Brille verzichten, die häufig als störend empfunden wird.
Zu den sehr guten visuellen Ergebnissen, die heutzutage mit trifokalen Linsen erzielt werden, tragen auch verbesserte OP-Techniken durch Lasereinsatz sowie präzise Ausrechnungsverfahren der optimalen Linsenposition bei. "Trifokale Linsen sind insgesamt ein Meilenstein", bilanziert Kohnen. "Der nächste Schritt werden Kunstlinsen sein, die die natürliche Fähigkeit des menschlichen Auges imitieren, auf jede Distanz spontan scharf stellen zu können." An solchen akkommodierenden Linsen wird derzeit mit Hochdruck geforscht.