Sie weckt mich, erinnert mich im Office daran, wenigstens einmal in der Stunde aufzustehen und daran, eine Minute lang durchzuatmen. Sie lobt mich, wenn ich mein Bewegungsziel erreicht habe und ermutigt mich, wenn ich mal weniger aktiv war. Seit ich die Apple Watch trage, kenne ich meine Ruheherzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und meinen täglichen Kalorienverbrauch. Zukünftig wird sie auch zuverlässig meinen Menstruationszyklus protokollieren, in der Lage sein, meinen Blutdruck zu messen und mich warnen, wenn der Geräuschpegel in meiner Umgebung eine Lautstärke erreicht, die sich negativ auf meine Hörgesundheit auswirkt. Bislang sind meine Gefühle noch gemischt, wenn ich daran denke, welche Mengen an Daten ich generiere. Andererseits verfüge ich damit selbst über Informationen, die mir vorher nur punktuell beim Arztbesuch mitgeteilt wurden – wenn überhaupt. Auf allen medizinischen Kongressen werden Smart Devices und Wearables derzeit heiß diskutiert und oft wird ihr Nutzen, wie zum Beispiel für die Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von Ärztinnen und Ärzten aus Klinik und Forschung bestätigt. Auch in der esanum Redaktion sind Fitness- und Healthtracker alltägliche Accessoires. Mit meinem Kollegen Sami Seyfert habe ich über seine Einschätzung der momentanen und zukünftigen Bedeutung solch smarter Devices am Beispiel der Apple Watch gesprochen.
Ester: Bewegungsmangel gilt als gesundheitlicher Risikofaktor. Glaubst du, dass die Apple Watch die körperliche Aktivität steigern und damit einen Beitrag zur Krankheitsprävention leisten kann oder ist sie nur für Personen nützlich, die ohnehin schon aktiv sind?
Sami: Ich denke kurzfristig eher Letzteres, da bei solchen Menschen die Saat bereits ausgestreut ist - man freut sich über jede Erfolgsmeldung, wie z. B. “Du hast heute deinen Kalorienverbrauch verdoppelt”, da man ein Grundgefühl entwickelt hat, was im und mit dem Körper passiert. Das fehlt Novizen natürlich im ersten Moment, jedoch denke ich, dass es da langfristig viel mehr Grenzgänger geben wird, die es sich bei anderen abschauen und so Stück für Stück an diese Form der digitalen Selbstoptimierung herangeführt werden. Insbesondere, da Apple tatsächlich einige schöne grafische Interfaces anbietet, die auf den ersten Blick klar machen, an welchem Punkt man am jeweiligen Tag bezüglich des Aktivitätslevels gerade steht.
Ester: Aus Sicht des Users: Du generierst ja eine riesige Menge an Daten über deinen Gesundheits- und Fitnesszustand - denkst du, dass es für einen Nicht-Mediziner möglich ist, aus diesen Daten zuverlässige Erkenntnisse zu gewinnen?
Sami: Na klar. Im Grunde handelt es sich ja immer um dieselben Daten, nur eben in unterschiedlicher Intensität. Ein Mediziner kann da meines Erachtens auch nicht zwingend mehr mit anfangen. Die Aufzeichnung und Verfolgung des eigenen Fitnesslevels und der Herzgesundheit sind zudem Dinge, die einen persönlich viel mehr betreffen als jemanden, der nur mal zum Check-up draufschaut.
Ester: Die Apple Watch verfügt über sehr spezifische Funktionen: Herzfrequenzmessung, EKG-Aufzeichnung und die ab Herbst mögliche Blutdruckmessung wurden früher üblicherweise in der ärztlichen Praxis durchgeführt. Was wird sich dadurch deiner Meinung nach am Verhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen ändern?
Sami: Gerade bei solchen Vitalwerten ist ein dauerhaftes Monitoring am Handgelenk ja viel sinnvoller, als eine punktuelle Untersuchung beim Arzt. Stellt man plötzlich fest, dass man einen Weißkittelblutdruck hat ist es vielleicht schon zu spät und man wurde auf Tabletten eingestellt, obwohl der Blutdruck nur beim Arzt so hochging - sowas gibt’s ja wirklich. Oder dass man nur alle drei Jahre - wenn überhaupt - ein EKG macht oder angeboten bekommt, weil es einem sonst anscheinend gut geht, während die Apple Watch Alarm schlägt, dass der Sinusrhythmus durcheinander ist. Zugegeben sind das Extrembeispiele, aber sie verdeutlichen, dass man auch immer selbst für die eigene Gesundheit verantwortlich ist - Arztbesuch hin oder her.
Im Verhältnis ändern muss sich eigentlich nichts, beide Parteien können dankbar über das Mehr an Information sein, auch wenn das natürlich eine gewisse Offenheit des Arztes oder der Ärztin voraussetzt. Das mag die Medizinerzunft der alten Schule zwar schmerzen, dass Patienten auf ihr Hoheitsgebiet eindringen, letztlich überwiegen aber für beide Seiten die Vorteile. Besserwisser und Streithammel gibt es natürlich immer wieder - auf beiden Seiten.
Ester: Die Apple Watch warnt beim Verdacht auf Vorhofflimmern und kann Stürze erkennen. Bei entsprechender Einstellung wird direkt ein Notruf abgesetzt. Ein Notfall-Pass kann ebenfalls bei gesperrtem Display angezeigt werden. Wie könnte sich dies auf die rettungs- und intensivmedizinische Praxis auswirken?
Sami: Das ist eine interessante Frage, auf die nur die Praxis eine Antwort geben kann. Im Augenblick findet ja so ein bisschen ein Transfer von “Silver Surfers” zu “Digital Natives” statt; das heißt, wenn Notarztbesatzung und Notfallpatient aufeinanderstoßen, müssen beide mit diesem Gadget umzugehen wissen. Also der Patient muss die Einstellungen vorgenommen haben, der Rettungsmediziner sie lesen können. Vielleicht werden es mehr letztlich unnötige Rettungseinsätze, aber dafür werden eben auch ein paar entscheidende “mit erwischt”, die vorher sonst tagelang unentdeckt zuhause gelegen hätten. Es wird aber meiner Einschätzung nach noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis sich deutliche Synergien zeigen.
Ester: Wie ist deine persönliche Einschätzung zum zukünftigen Einfluss von Wearables auf die Schnittstellen zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen und den Patientinnen und Patienten?
Sami: Auf jeden Fall ein klares “Daumen hoch”. Zum einen, da die Bewertung der zugrunde liegenden Technologien durch EG-Richtlinien & Co. positiv ausfallen und man keine Angst haben muss, durch unsinnige oder irreführende Messungen aufs Glatteis geführt zu werden. Das war bei Handy-Apps ja häufiger der Fall, zum Beispiel bei den berüchtigten Pulsmessern, die oft innerhalb von Sekunden Varianzen von bis zu 40 oder 50 Herztakten anzeigten). Zum anderen, da die Wearables zur Abwechslung mal gesundheitlich nützliche Gadgets sind, die der Ärztin oder dem Arzt helfen, den Patienten besser einschätzen zu können. Aber noch wichtiger, helfen sie dem Nutzer, sich reflektierter mit seiner eigenen Gesundheit bzw. deren Verbesserung auseinanderzusetzen. Ob es nun Apple oder Samsung heißt: dieses Mehr an Wissen schadet in keinem Fall.