In vielen Ländern weltweit schlagen die Masern zu wie lange nicht mehr. In Deutschland werden nun Pläne für eine Impfpflicht konkreter. In Madagaskar ist nur etwa die Hälfte aller Kinder geimpft. Einer der weltgrößten Ausbrüche zeigt dort die furchtbaren Folgen.
Der fünf Monate alte Isaïa hätte nicht sterben müssen. Eine einfache Impfung hätte sein Leben wohl gerettet. Seine Mutter Lalatiana Ravonjisoa ist nach dem Masern-Tod des Jungen verzweifelt. "Ich werfe mir vor, nicht genug getan zu haben", sagt die 35-Jährige. Isaïa ist eines von mehr als 1.200 Todesopfern der seit Monaten andauernden Masern-Epidemie in Madagaskar. Mit rund 120.000 Erkrankungen seit September ist der Ausbruch einer der derzeit größten der extrem ansteckenden Virusinfektion weltweit.
"Er ist nur eine Woche nach dem ersten Fieber gestorben", sagt Ravonjisoa, Gemüseverkäuferin aus der Hauptstadt Antananarivo. Einen Arztbesuch habe sie sich nicht leisten können. Die Epidemie in dem Inselstaat vor der Südostküste Afrikas ist ein dramatisches Beispiel für das, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine beunruhigende Rückkehr vermeidbarer Krankheiten nennt. Die Zahl der Masern-Fälle ist demnach 2017 weltweit im Jahresvergleich um 30 Prozent gestiegen.
Inzwischen werden aus Europa, den USA, Afrika und Asien Epidemien gemeldet. Zu den Gründen für die Zunahme der Krankheitsfälle in entwickelten Ländern gehört Impfmüdigkeit, verbunden mit der Angst vor angeblichen Nebenwirkungen. Die WHO zählt mangelnde Impfbereitschaft bereits zu den größten Gesundheitsrisiken der Welt. Es handelt sich nicht um ein abstraktes Risiko: Vor Einführung der Masern-Impfung starben 1980 nach WHO-Daten rund 2,6 Millionen Menschen an der Viruskrankheit, 2016 waren es noch rund 100.000, vor allem in ärmeren Ländern.
In Deutschland, wo fast 95 Prozent aller Schulanfänger beide empfohlenen Masern-Impfungen erhalten haben, kann sich kaum noch jemand daran erinnern, dass Masern auch tödlich verlaufen können. Doch die Zahl der Erkrankungen nimmt wieder zu. Dem zuständigen Robert Koch-Institut in Berlin wurden 2018 Daten zu 543 Masern-Fällen übermittelt. Zu einem großen Anstieg kam es demnach zuletzt auch in der WHO-Region Europa: 2017 seien dort 23.927 Menschen erkrankt - 2016 waren es nur 5.273.
Die Rückkehr der Masern hat bereits zu Forderungen nach einer Impfpflicht geführt. Anfang Mai wird dazu ein Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwartet. Einzelne Bundesländer wie Brandenburg und Nordrhein-Westfalen wollen mit eigenen Regelungen vorangehen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte Ende März gesagt: "Die Gesundheit und der Schutz der gesamten Bevölkerung setzen der individuellen Freiheit Grenzen."
Das Virus hatte in Madagaskar leichtes Spiel, weil jahrelang nur gut die Hälfte aller Kinder geimpft wurden. Dem Staat fehlen die Mittel für Impfkampagnen. Weltweit sind vor allem ärmere Länder von Masern betroffen. Im zentralafrikanischen Kongo haben die Behörden seit Jahresanfang rund 41.000 Erkrankungen und 760 Masern-Tote gezählt, auf den Philippinen erlagen der Krankheit mehr als 350 Menschen. Bei den Opfern handelt es sich überwiegend um Kinder bis zu fünf Jahren.
Die sechs Kinder von Marie-Jeanne Randriamahefy in Antananarivo hatten im Dezember alle Masern. "Drei Kinder lagen in einem Bett, die drei übrigen im anderen Bett", erzählt sie. Alle Kinder haben überlebt, aber die 44-Jährige macht sich Vorwürfe: "Ich habe die Kinder nicht impfen lassen. Es ist meine Schuld, dass sie fast gestorben sind."