In der Medizininformatik-Initiative (MII) haben sich alle deutschen Universitätskliniken zusammengeschlossen, um digitale Infrastrukturen aufzubauen. Ziel ist es, Gesundheits- und Krankheitsdaten gemeinsam zu nutzen. Nun haben sich die Beteiligten wie beim Turmbau zu Babel auf eine gemeinsame Sprache "geeinigt": SNOMED CT ermöglicht weltweit den sicheren digitalen Austausch von Patientendaten und Forschungsergebnissen.
Medizinische Daten kommen häufig aus unterschiedlichen Quellen: Aus der Patientenversorgung, der Bildgebung oder der Sequenzierung des Erbguts. So bringen etwa KrebspatientInnen Röntgenaufnahmen, Blutwerte und Daten aus der Erbgutanalyse mit, wenn es darum geht, die für sie beste Therapie zu entwickeln. Um diese Daten miteinander in Verbindung zu setzen, mit internationalen Erfahrungen bei ähnlich gelagerten Fällen zu vergleichen und die richtigen Schlüsse für die Therapie zu ziehen, müssen die Daten vergleichbar sein. "Die Lizenzierung von SNOMED CT versetzt uns in die Lage, mit einer Sprache zu sprechen und international anschlussfähig zu sein", sagte Professor Roland Eils, Gründungsdirektor des BIH Digital Health Center.
Eils leitet eines von vier Konsortien der Medizin-Informatik-Initiative, das Konsortium HighMed, zu dem unter anderem die Charité – Universitätsmedizin Berlin und das Heidelberger Universitätsklinikum gehören. Mithilfe von SNOMED CT können Programme unterschiedliche medizinische Fachbegriffe in einen international einheitlichen Zahlencode übersetzen. "SNOMED erlaubt es uns, klinische Daten nicht nur aus Deutschland, sondern international zu nutzen und für die Forschung zu verwenden. Das wird es uns ermöglichen, Krankheiten zukünftig schneller zu erkennen, wirkungsvoller zu behandeln und ihnen besser vorzubeugen."
Wenn Gesundheitsdaten ausgetauscht und gemeinsam ausgewertet werden sollen, muss eindeutig sein, was mit bestimmten Begrifflichkeiten aus der medizinischen Dokumentation ausgedrückt wird. So kann etwa mit der Abkürzung "HWI" ein Harnwegsinfekt oder ein Hinterwandinfarkt am Herzen gemeint sein. Bevor Computerprogramme mit den Daten arbeiten, braucht es eindeutige Codes und notwendige Kontextinformationen.
Mit Nomenklaturen wie SNOMED CT ist eine solch eindeutige Codierung möglich. SNOMED CT ist auch wichtig, um in der ärztlichen Dokumentation unterschiedlich formulierte Beschreibungen desselben medizinischen Sachverhalts zu vereinheitlichen: beispielsweise eines Wirbelbruchs in den Varianten "Dornfortsatzfraktur des 1. Lendenwirbelkörpers" versus "Fraktur des Processus Spinosus LWK I". Mit SNOMED werden diese Begriffe in eindeutige und zudem international einheitlich definierte Codes überführt.
Und sogar für Freitexte wie z.B. Arztbriefe kann SNOMED treffende "Übersetzungen" in computerlesbare Einheiten gewährleisten.
Sylvia Thun, Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen am BIH und Direktorin der Core Unit für E-Health und Interoperabilität am BIH, forscht seit über 15 Jahren mit medizinischen Fachsprachen wie SNOMED CT und ist weltweit anerkannte Expertin für Terminologien und Standardisierung. Sie sieht große Chancen mit der IT-konformen Sprache: "SNOMED CT wird die Digitalisierung in Deutschland massiv weiterbringen und den Entscheidern im Gesundheitswesen die Zusammenarbeit erleichtern. SNOMED ist die Basis für weltweit lesbare digitale Gesundheitsanwendungen, beispielsweise für Allergien und Seltene Erkrankungen, aber auch im aktuellen Fall: Wenn weltweit die Corona-Infektionen und Covid19-Fälle gezählt werden müssen, brauchen wir international verständliche Dokumentationen." Viele Länder dokumentieren die Corona-Infektionen bereits mit Snomed, Deutschland wird nun bald folgen.
Über alle Konsortien der Medizin-Informatik-Initiative hinweg, leitet Dr. Josef Schepers von der BIH Unit E-Health und Interoperabilität den Beispiel-Fall "Seltene Erkrankungen" CORD-MI. Gerade auf diesem medizinischen Gebiet ist es ungeheuer wichtig, dass sich Ärzte aus unterschiedlichen Einrichtungen und auch über nationale Grenzen hinweg verstehen und Patientendaten datenschutzkonform untereinander austauschen können. Schepers betonte: "Gerade bei medizinischen Diagnosen, die in ganz Deutschland vielleicht nur hundertmal vorkommen, kann die digitale Vernetzung lebensrettend sein."