Dr. Astrid Gendolla, Fachärztin für Neurologie in Essen, referierte auf dem Schmerz- und Palliativtag der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin zu neusten Entwicklungen in der Migräne-Therapie
Von Migräne sind vorrangig Menschen in ihrer produktivsten Phase betroffen: Menschen zwischen 29 und 40 Jahren. Dabei sind die Auswirkungen der Migräne bei Patienten mit chronischer und mit episodischer Migräne im schulischen, beruflichen und privaten Alltag besonders folgenschwer. Chronische Migräne ist als genetisch bedingte Erkrankung von verschiedenen Komorbiditäten begleitet:
Die Migräne kann sich im Laufe der Zeit mit erhöhter Kopfschmerzhäufigkeit verschlimmern.
Mit diesen Tatsachen führt Dr. Astrid Gendolla ihren Vortrag ein.
Zugleich stellt sie fest, sie sähe derzeit mit der Einführung neuer Migräne-Prophylaktika wesentlich mehr Chancen als Hürden im Praxisalltag.
Es brauche vor allem eine gute Arzt-Patienten-Bindung, um diese Patienten zu führen, denn es gibt keine Messungen, keine Belege für das Kopfschmerzgeschehen als das Kopfschmerztagebuch.
Wesentlich ist das Erkennen der Prodromalphase, in welcher Patienten sich gestresst, ungeduldig und überempfindlich empfinden. Wenn diese Phase, die der Patient nicht unterbrechen kann, richtig erkannt wird, dann kann man die Frage beantworten: Wann lohnt es sich, ein spezifisches Medikament wie ein Triptan zu nehmen. Um die Hauptrisikofaktoren der Chronifizierung zu beeinflussen, braucht man die Prophylaxe.
Migräne bedarf einer Behandlung des ganzen Menschen – auch mit nichtmedikamentösen Verfahren.
Unwirksam ist die immer noch angebotene Durchtrennung des Musculus corrugator.
Allerdings sei zu berücksichtigen, dass Migränepatienten ohnehin oft diejenigen sind, die sich viel bemühen, die immer alles richtig machen wollen. Ihnen nun auch noch dreimal die Woche Sport oder Meditation zu empfehlen, ist mitunter schwierig.
Die Patienten verbessern sich laut Studien über die Zeit in der Behandlung mit Onabotulinumtoxin, daher empfiehlt die Referentin mindestens drei Zyklen mit ausreichend hoher Dosierung.
Die Entscheidung für eine Substanz ist abhängig vom Patiententyp. Der Patient mit vielen Auren wird eher von Topiramat profitieren. Was Kombinationen betrifft, liefern Studien positive, aber auch negative Hinweise. Die Referentin glaubt aber, dass Monosubstanzen besser einzusetzen sind, weil sonst unklar bleibt, welches Medikament wirkt und welches eventuell Nebenwirkungen auslöst. Für schwierig hält die Expertin hier auch das Shared Decision Making bei der Wahl der Substanz. Wie soll der Patient eine solche Entscheidung treffen? Er braucht Beratung vom Experten.
Die Prophylaxe hat Riesenchancen, die auch Komorbiditäten mitbehandeln, beispielsweise Schlafstörungen. Auf das Festlegen realistischer Ziele kommt es an.
Wobei die Vorteile der Migräne-Prophylaxe erst im Lauf der Zeit in Erscheinung treten – und nicht sofort. Die Hoffnung ist, die Progression der Migräne zu verhindern.
Allerding ist die Adhärenz der Patienten in der Prophylaxe häufig nicht sehr gut. Die Hauptgründe der Patienten sind mangelnde Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Dabei sei es eher so, dass Nebenwirkungen zeigen, dass es eine Wirkung gibt und dass die positive Wirkung erst nach sechs bis acht Wochen eintritt. Hauptziel ist ja immer die Verbesserung der Lebensqualität.
Dr. Astrid Gendolla vergleicht die Möglichkeiten der Migränetherapie mit den neuen Prophylaxen mit CGRP-Antikörpern mit dem Umbruch, den einst die Triptane ausgelöst haben. Das war damals ein ergreifender, faszinierender Moment, erinnert sich die Referentin, weil Patienten das erste Mal Medikationen bekamen, mit denen sie innerhalb von zwei Stunden wieder funktions- und arbeitsfähig waren und das tun konnten, was sie wollten. Das hat ihr Leben verändert. So eine erfreuliche Wendung sei nun auch wieder gegeben. Die Rolle von CGRP bei Migräne ist vielfach nachgewiesen.
Die Referentin ist überzeugt, dass die Patienten die neuen Substanzen idealerweise autonom zu Hause selbst anwenden können sollten. Als Beispiel nennt Dr. Gendolla ein Fertigpen mit Galcanezumab, mit dem Patienten sich eigenständig im Abstand von vier Wochen behandeln können.
Alle Substanzen sind für Patienten mit vier oder mehr Attacken im Monat zugelassen. Die Studien zu den einzelnen Substanzen sind nicht miteinander vergleichbar. Sie wurden mit unterschiedlichen Kollektiven und verschiedenen Zielparametern durchgeführt. Erst in Zukunft wird sich zeigen, für welchen Patienten welche Substanzen gut und sinnvoll einzusetzen sind. Es sind Studien geplant, die den Zusatznutzen der Substanzen belegen, sodass zu hoffen ist, dass in zwei, drei Jahren Populationen definiert sind, die davon auch profitieren werden. Derzeit wird in einem Register das Ansprechen der Substanzen gesammelt, ebenso die Nebenwirkungen. Das Nebenwirkungsprofil ist bei allen Substanzen optimal, betont die Referentin. Daher sei auch die Compliance sehr gut.