Migrantinnen – ganz besondere Patientinnen?

Sind Patientinnen mit Migrationshintergrund in der Gynäkologie besondere Patientinnen? Welche Besonderheit, Schwierigkeiten und Lösungswege gibt es?

Migrantinnen sind potenzielle Hochrisikogruppe für Krebserkrankungen

Wie steht es um die Gesundheitskompetenz von Migrantinnen? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer entsprechenden Session auf dem DGGG-Kongress.In Vertretung von Prof. Dr. Theda Borde stellte die Doktorandin Sabina Schwachenwalde Überlegungen und Studienergebnisse zum Thema "Weniger Gesundheitskompetenz: geringere Nutzung gynäkologischer Screeningangebote durch Migrantinnen?" vor.

Zu Beginn betonte sie die Bedeutsamkeit der Fragestellung - angesichts der großen Zahl von Migrantinnen: 11,5% der Bevölkerung haben eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit und 23,4% einen Migrationshintergrund, insgesamt hat jedes dritte Kind einen Migrationshintergrund. Hinzu kommt, dass dieser Teil der Bevölkerung deutlich jünger als der Durchschnitt ist - der Altersdurchschnitt liegt bei 35,4 Jahren. Es handelt sich mithin um eine relevante Gruppe potenzieller Patientinnen in der Gynäkologie.

Sodann wendete sich die Referentin dem Begriff der Gesundheitskompetenz, der Health Literacy (HL) zu. "Diese umfasst das Wissen, die Motivation und die Kompetenz, relevante Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Und somit im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung der Prävention und der Gesundheitsförderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, welche die Lebensqualität erhalten oder verbessern." Natürlich spielen hier viele individuelle Determinanten hinein.

Der deutsche Health Literacy Survey von 2016 brachte deutlich zutage, dass der Anteil an problematischem und inadäquatem Health-Literacy-Niveau bei Menschen mit Migrationshintergrund deutlich höher ist als beim Bevölkerungsdurchschnitt. So fanden sich bei 53% der Migrantinnen ein problematisches und bei 17,5% ein inadäquates HL-Niveau.

Was heißt das nun? Die Auswirkungen sind vielfältig. In der Folge zeigt sich auch eine geringere Compliance. Es kommt zu mehr gesundheitlichen Problemen, zu einer verringerten Lebensqualität, zu erhöhter Morbidität und Mortalität. Das alles führt zu einer verstärkten sozialen Ungleichheit.

Eine große Querschnittsstudie mit über 11.000 Teilnehmerinnen unter dem Titel "Participation in cancer screening among female migrants and nonmigrants in Germany" verglich die Inanspruchnahme der Krebsvorsorge von Migrantinnen und Nichtmigrantinnen. Die Frage war: "Haben Sie jemals in ihrem Leben an einem Screening teilgenommen?" Eingeschlossen waren das Zervix-Ca, das Mamma-Ca und das Kolon-Ca. Ergebnis: Die Chance, an einem Krebsscreening teilgenommen zu haben, war für Migrantinnen nur halb so hoch wie für die Vergleichsgruppe. Der Effekt bleibt auch dann erhalten, wenn verschiedene sozioökonomische Faktoren wie beruflicher Status und Einkommen einbezogen werden.

In einer zweiten deutschen Studie von 2018 wurden 50jährige Frauen gefragt, ob sie regelmäßig am Brustkrebsscreening teilnehmen. Die Chance, nie oder nur sehr unregelmäßig am Brustkrebsscreening teilzunehmen, war auch hier für Migrantinnen signifikant höher. Der Effekt war am stärksten bei Frauen mit türkischem Hintergrund. Wenn der Bildungshintergrund einzogen wird, ist der Effekt leicht abgeschwächt. Bei der Selbstuntersuchung der Brust gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Studienautoren ziehen den Schluss, dass Frauen mit Migrationshintergrund eine potenzielle Hochrisikogruppe sind, die oft eine sehr späte Diagnose bekommen.

Fazit:

Lösungsansatz:

Othering – struktureller Diskriminierung vorbeugen

Im zweiten Teil der Session erläuterte Prof. Dr. Hella von Unger, München, unter dem Titel "Othering: Wie kann man struktureller Diskriminierung im Gesundheitswesen vorbeugen?" was beim Umgang mit Patientinnen aus soziologischer Sicht zu berücksichtigen ist. Sie mahnte zur Vorsicht bei Bewertungen im Umgang mit Migrantinnen, auch bei besten Intentionen. Vielleicht sei ja das Verhalten von Migrantinnen in Bezug auf das Krebs-Screening durchaus vernünftig. Zum Begriff "Othering", erklärte sie: "Es handelt sich um eine soziale Konstruktion von marginalisierten Gruppen aus der Perspektive der dominanten Gruppe." Die Konstruktion zeige sich in der Benachteiligung im Gesundheitswesen durch eingeschränkten Zugang zur Versorgung. Die Referentin rät daher zur Skepsis gegenüber homogenisierenden Beschreibungen von Gruppen. Sie beschrieb anschauliche Beispiele, in denen Migrantinnen in die sie betreffende Gesundheitsforschung erfolgreich einbezogen wurden - als Expertinnen in eigner Sache ("EMPOW-Projekt" und das "PaKoMi-Projekt"). Ein guter Weg, so die Referentin, Migrantinnen volle Teilhabe zu eröffnen.

Fazit:

Es gilt...

Migrantinnen kommen öfter in die Notaufnahmen

Im dritten Teil der Session gab Prof. Dr. med. Matthias David von der Berliner Charité eine Übersicht zur "Überinanspruchnahme (gynäkologischer) Notfallambulanzen durch Frauen mit Migrationshintergrund?"

Ausgangspunkt seiner Überlegungen: In Deutschland können Notaufnahmen rund um die Uhr und nahezu voraussetzungslos in Anspruch genommen werden. Viele PatientInnen quer durch die Bevölkerung gehen auch während der Öffnungszeiten von Praxen lieber in Notaufnahmen als zu niedergelassenen ÄrztInnen. So vermuten 41 Prozent dort eine bessere medizinische Versorgung. Unangemessene, also nicht dringliche Nutzung wird als ein Hauptgrund für überfüllte Notaufnahmen angesehen.

Insgesamt gibt es in den letzten zehn Jahren vier Reviews, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Migrantinnen eine erhöhte Nutzungsrate von NFA aufweisen. Alle vier fanden im Wesentlichen: Ja, es besteht eine solche höhere Inanspruchnahme von Migrantinnen. Das gleiche Ergebnis zeigte eine aktuelle Berliner Studie (EUMAR-Studie von 2017/2018) zur "Fehlinanspruchnahme von klinischen Notfallambulanzen durch Migrantinnen?" Die Auswertung wird auf dem DGGG Kongress erstmals öffentlich vorgetragen. Die Daten wurden in drei großen NFA in den Berliner Bezirken Wedding, Steglitz und Neukölln mittels Interviews und Fragebögen unter über 2.000 PatientInnen erhoben. 62% der Studienteilnehmenden waren weiblich.

Als angemessener Besuch der NFA wurde definiert, wenn die Person anschließend stationär aufgenommen wurde. Hinzu kamen Zusatzkriterien - wenn die PatientInnen selbst sagten:

Ergebnis: Migrantinnen der 1. Generation weisen eine signifikant höhere Chance auf unangemessene Nutzung der NFA auf, bei Migrantinnen der 2. Generation ist der Effekt leicht abgeschwächt.

Fazit:


Quelle: DGGG Kongress, 8.10.2020, Patientinnen mit Migrationshintergrund in der Gynäkologie: Besonderheiten, Schwierigkeiten, Lösungswege