Ein Forschungsteam der TH Nürnberg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg entwickelt Glas zur Knorpelregeneration.
Arthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung und noch immer unheilbar. Ein wichtiger Schritt, um die Entstehung einer Arthrose zu verhindern, ist die frühzeitige Behandlung von Gelenkknorpelverletzungen. Einem Forschungsteam der TH Nürnberg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg ist es nun gelungen, Gewebe im Labor zu züchten, das später bei Defekten implantiert werden kann. Dafür haben sie ein spezielles Glas entwickelt, auf dem die Zellen wachsen können und das sich nach der Implantation im Körper restlos auflöst. Dabei setzt es Ionen frei, die die Knorpelzellen aktivieren können.
In den vergangenen Jahrzehnten ist die Lebenserwartung der Menschen weltweit gestiegen. Zudem hat sich ihr Lebensstil geändert und ist zunehmend durch mangelnde Bewegung und nicht angepasste Essgewohnheiten geprägt. Daraus folgen im Alter Schädigungen und Versagen der Organe – insbesondere der Bewegungsapparat ist davon betroffen.
Die am weitesten verbreitete Gelenkerkrankung ist die Arthrose, die noch immer als unheilbar gilt und im fortschreitenden Verlauf irreversible Schädigungen und den allmählichen Verlust des Gelenkknorpels verursacht. Prof. Dr. Armin Lenhart und Prof. Dr. Sven Wiltzsch von der Fakultät Werkstofftechnik der TH Nürnberg ist es gemeinsam mit Prof. Dr. Gundula Schulze-Tanzil und Clemens Gögele von der Abteilung für Anatomie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg gelungen, auf einem neuartigen Trägermaterial Knorpelgewebe im Labor herzustellen, das dazu dienen kann, in Gelenke implantiert zu werden.
Damit haben sie eine neue Möglichkeit zur zukünftigen Behandlung von Knorpelverletzungen und zum Abwenden der Entstehung von Arthrose entwickelt. Die letzte Möglichkeit, bei weit fortgeschrittener Arthrose wieder schmerzfrei zu sein und die Gelenkfunktionen wiederherzustellen, ist bislang die Implantation einer Gelenkprothese durch einen chirurgischen Eingriff.
"Da die Arthrose oft als Folge von Gelenkknorpelverletzungen entsteht, ist die Behandlung von Gelenkknorpeldefekten ein wichtiger Schritt, um die Entstehung einer Arthrose zu verlangsamen oder zu verhindern. Bei kleineren Knorpeldefekten können sogenannte Knorpelknochenzylinder aus nicht belasteten Knorpelbereichen entnommen und in den Defekt transplantiert werden. Das hat aber den entscheidenden Nachteil, dass an der Entnahmestelle ein Sekundärdefekt entsteht", so Prof. Dr. Sven Wiltzsch von der TH Nürnberg.
Bei großen Knorpeldefekten, für die bisher keine geeignete Behandlungsmöglichkeit existierte, hat die Transplantation von in der Zellkultur gezüchteten Knorpelzellen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dabei ist das "Tissue Engineering" eine vielversprechende Strategie. Im ersten Schritt werden körpereigene Zellen im Labor auf einen geeigneten Träger aufgebracht und in einem Kultivierungsmedium zum Wachstum und zur Vermehrung des gewünschten Gewebes angeregt.
Im zweiten Schritt wird dieses Gewebe mit einem entsprechend geformten Trägermaterial als Implantat an der Körperstelle chirurgisch eingesetzt. Der Träger soll sich dann allmählich auflösen und dabei aktivierende Ionen freisetzen. Er wird dabei durch das von den implantierten Zellen neu gebildete Gewebe ersetzt werden. "Bisherige Laborergebnisse mit herkömmlichen Biomaterialien als Träger haben gezeigt, dass eine Ansiedlung und Vermehrung von Knorpelzellen mit entsprechender Bildung von Ersatzgewebe in diversen Trägermaterialien noch zu unzureichenden Ergebnissen führt", erklärte Prof. Dr. Gundula Schulze-Tanzil von der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität im Klinikum Nürnberg.
Deshalb hat das Projektteam ein neuartiges Trägermaterial aus Glas für das "Tissue Engineering“ entwickelt. Bei der Entwicklung mussten sie einige Herausforderungen überwinden. Prof. Dr. Armin Lenhart von der TH Nürnberg: "Mit dem Stand der Herstellungstechnik von Trägermaterialien und den typischerweise verwendeten Gläsern konnten bislang keine günstigen und ausreichend stabilen Trägergeometrien realisiert werden. Eine Ansiedlung der Knorpelzellen auf dem Trägermaterial war nur im geringen Maße möglich und ihre Lebensdauer begrenzt. Außerdem haben sich die Gläser zu langsam aufgelöst und wären für die Anwendung als Implantat nicht geeignet.“
Durch eine veränderte Glaszusammensetzung konnten die Forschungsteams die Auflösungszeiten verringern. Zudem haben sie die Verfahrenstechnik der Trägerherstellung optimiert und dabei die glasspezifischen Eigenschaften, insbesondere die Behandlungstemperaturen und Sinterzeiten, berücksichtigt. Durch ein spezielles chemisches Behandlungsverfahren der Glasoberfläche konnte das Forschungsteam die Ansiedlung der Knorpelzellen und die anschließende Vermehrung verbessern.
"Laboruntersuchungen haben uns auch schon erste Hinweise dafür gegeben, dass unser Glas nicht nur zur Knorpelherstellung geeignet ist, sondern auch zur Züchtung von Haut- und Bänderzellen", erläuterte Prof. Dr. Sven Wiltzsch von der TH Nürnberg.
Durch ihre kooperative Forschungsarbeit konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen neuen Typ von Biomaterial aus Glas und ein zugehöriges Bioaktivierungsverfahren entwickeln, die in Kombination das Potenzial haben, sich zum Implantat weiterzuentwickeln. Damit würde das Forschungsteam langfristig eine neue Möglichkeit zur Behandlung von Knorpelverletzungen realisieren und kann somit die Entstehung von Arthrose abwenden.