Um die Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland zu verbessern, wurde 2013 ein Nationaler Aktionsplan verabschiedet. Im Rahmen seiner Umsetzung konnten bereits wichtige Erfolge erzielt werden, bei den Kernthemen "qualitätsgesicherte Versorgung" und "nachhaltige Organisationsform" wurden die Erwartungen aber bislang nicht erfüllt. Zu diesem Fazit kommt das Fraunhofer ISI, das zusammen mit der Universität Bielefeld und der Ostfalia Hochschule die Umsetzung des Aktionsplans wissenschaftlich begleitet hat.
Das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) will die Lebens- und Versorgungssituation von Menschen mit Seltenen Erkrankungen nachhaltig verbessern. Die 28 Beteiligten aus Bundespolitik, Selbstverwaltung, Versorgung, Industrie und Patientenselbsthilfe haben sich zu diesem Zweck 2013 mit dem "Nationalen Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen" auf 52 Maßnahmen geeinigt, die den Lebensalltag und die Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen verbessern können.
Der jetzt erschienene Abschlussbericht der Wissenschaftlichen Begleitung zeigt einige Erfolge: Mehr als die Hälfte der 52 Maßnahmen ist in Arbeit oder bereits umgesetzt. Zudem wurden erste gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, um langfristig dem besonderen Aufwand bei der Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen Rechnung zu tragen. Die Arbeit des Bündnisses hat auch dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit für das Thema Seltene Erkrankungen in der Öffentlichkeit und in der Fachwelt zu erhöhen.
Die Autorinnen und Autoren der Begleitstudie stellen jedoch fest, dass Interessenkonflikte zwischen den Beteiligten auch im Bündnis weiterbestehen und mitunter die Umsetzung des Aktionsplans behindern. Zudem fehlt es dem Aktionsplan laut der Studie an klar definierten Zielen sowie verbindlichen Zuständigkeiten und einem konkreten Zeitrahmen für die Umsetzung.
Ein Kernziel des Aktionsplans ist die Umsetzung des Zentrenmodells: Wer an einer Seltenen Erkrankung leidet, soll in Deutschland Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung in zertifizierten Zentren erhalten. Die Entwicklungen rund um den Nationalen Aktionsplan haben zur Gründung vieler solcher Versorgungszentren geführt. Allerdings fehle es bislang an einem Zertifizierungsverfahren, das einheitliche Qualitätsstandards sicherstelle.
Die Studie kritisiert auch Organisationsform und Arbeitsweise des NAMSE. "Für die Steuerung des Aktionsbündnisses ist das in der Entstehungsphase sehr erfolgreiche Konsensverfahren nicht geeignet", sagt Dr. Tanja Bratan, Leiterin des Projekts am Fraunhofer ISI. "Im Gesundheitswesen sind die Zuständigkeiten genau definiert, nicht alle Beteiligten entscheiden über alle Themen." Diese Aufgabenteilung solle das Bündnis in Zukunft stärker berücksichtigen. Es müsse klären, ob es lediglich eine informierende oder eine aktiv mitgestaltende Rolle einnehmen wolle. Für letzteres wäre es eventuell nötig, einen gesetzlichen Auftrag zu schaffen.
In jedem Fall benötige das Bündnis eine langfristige Finanzierung, um sich seinen Aufgaben widmen zu können. Für die weitere Arbeit sei die Operationalisierung des Aktionsplans sinnvoll, beispielsweise in Form von zeitlich begrenzten Arbeitsplänen mit definierten Zielen, Arbeitsschritten und Zuständigkeiten. Die Autorinnen und Autoren der Studie halten die genannten Schritte für essenziell, um die Phase des Stillstands zu überwinden und die Umsetzung des Aktionsplans weiter voranzubringen.
Aus dem NAMSE lasse sich viel über das Gesundheitssystem insgesamt lernen, so Tanja Bratan: "Das Bündnis adressiert nicht nur ein gesellschaftlich wichtiges Thema, es ist auch aus Sicht der Innovationsforschung spannend: Am Beispiel der Seltenen Erkrankungen sind die Stärken und Schwächen des Gesundheitssystems wie unter einem Brennglas in besonderer Weise erkennbar."
Quelle: Fraunhofer ISI