Ein Team deutscher WissenschaftlerInnen hat erstmals den Eiweißfabriken menschlicher Herzzellen bei der Arbeit zugesehen und dabei ganz neue, bisher unbekannte Mikroproteine entdeckt. Welche Rolle diese in der zukünftigen Therapie von Herzleiden spielen könnten, haben die ForscherInnen aktuell in "Cell" publiziert.
Das menschliche Herz birgt viele Geheimnisse. Und das nicht nur im übertragenen, emotionalen Sinn: Auch ganz rational betrachtet ist erstaunlich wenig darüber bekannt, wie das muskuläre Organ, das jede Zelle des Körpers mit Sauerstoff versorgt, funktioniert.
Die im Zellkern jeder Zelle verpackte DNA enthält einen Bauplan für sämtliche Proteine, die im Körper gebildet werden. Die Produktion der Eiweiße erfolgt stets in zwei Schritten, der Transkription und der Translation. Im ersten Schritt werden Kopien von Teilstücken der DNA in Form von Boten- oder Messenger-RNA (mRNA) hergestellt, die den Zellkern verlassen. Im zweiten Schritt bauen die Ribosomen aus einzelnen Aminosäuren die entsprechenden Proteine zusammen.
"Wir haben nun mithilfe einer noch recht jungen Technik, dem Ribosomen-Profiling oder kurz Ribo-Seq, zum ersten Mal nicht nur in isolierten Zellen, sondern in intaktem menschlichen Herzgewebe ermittelt, zu welchen Stellen der mRNA sich die Ribosomen begeben“, so die StudienautorInnen, "Über spezielle Algorithmen konnten wir daraus anschließend errechnen, welche Proteine bei der Translation im Herzen gebildet werden."
Auf diese Weise entdeckten die Forscherinnen und Forscher eine ganze Reihe winziger, bislang unbekannter Eiweiße. Was zusätzlich überraschte, war die Tatsache, dass sehr viele der Mikroproteine von RNAs kodiert wurden, von denen man bislang dachte, dass sie gar nicht kodierend seien.
Mit speziellen mikroskopischen Techniken konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten, dass mehr als die Hälfte der Mikroproteine nach ihrer Herstellung zu den Mitochondrien wanderten. Das bedeutet, dass sie offenbar für die Energiegewinnung des Herzens benötigt werden. Da viele Herzerkrankungen auf Fehler im Energiestoffwechsel zurückgehen, ist dieses Resultat natürlich ganz besonders interessant.
Um mögliche Unterschiede des Translatoms, also der Gesamtheit der hergestellten Eiweiße, zwischen kranken und gesunden Herzen aufzuspüren, untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum einen Gewebeproben von 65 Patientinnen und Patienten mit dilatativer Kardiomyopathie (DCM), einer krankhaften Erweiterung des Herzmuskels. Die Proben wurden den Betroffenen während einer ohnehin anstehenden Herzoperation per Biopsie entnommen. Zum Vergleich diente das Gewebe von 15 nicht erkrankten Herzen.
Das Herzleiden DCM, das bei vielen Patientinnen und Patienten irgendwann eine Herztransplantation erforderlich macht, geht bei manchen Erkrankten auf eine Mutation im Gen für das größte und wichtigste Eiweiß des menschlichen Herzens zurück: Titin. Aufgrund der Genveränderung entsteht in der mRNA ein Stoppsignal, das den Ribosomen signalisiert, ihre Arbeit zu beenden und das Titin nicht fertig zu bauen. Allerdings erkranken nicht alle Menschen, die diese Mutation in ihrem Erbgut tragen, im Laufe ihres Lebens tatsächlich an DCM.
Den Gründen dafür sind van Heesch und seine Kolleginnen und Kollegen jetzt auf der Spur. „Wir haben beobachtet, dass die Ribosomen zuweilen das rote Ampellicht einfach ignorieren und mit der Titin-Produktion fortfahren können“, berichteten die ForscherInnen. Nun gelte es herauszufinden, unter welchen Umständen dies geschehe. Möglicherweise liegt es an der Position, die die Genveränderung auf der mRNA einnimmt. Vielleicht sind aber auch Faktoren beteiligt, die sich, wenn man sie erst einmal erkannt hat, therapieren lassen.
Es scheint sich bei den neu entdeckten Mikroproteinen um evolutionär recht junge Substanzen zu handeln, die beispielsweise in Mäuseherzen nicht zu finden seien. Die Mini-Eiweiße zeigten einmal mehr, wie besonders das menschliche Herz doch sei. Darüber hinaus bleibt zu hoffen, die Proteine eines Tages entweder zur Diagnostik von Herzerkrankungen nutzen zu können – oder aber als therapeutische Zielstrukturen, über die sich ein gestörter Energiestoffwechsel des Herzens besser als bisher behandeln ließe.