Ein internationales Forschungsteam hat einen Gendefekt identifiziert, der für ein ungewöhnliches neues Krankheitsbild innerhalb einer Familie verantwortlich ist.
Sie sind vier Brüder und leiden alle unter dem gleichen Krankheitsbild: Ihre Zahnentwicklung ist gestört – die Zähne schieben sich verzögert durch den Kieferknochen, nutzen sich schnell ab und sind ungewöhnlich verfärbt –, dazu kommen Kleinwuchs, verschiedene Unregelmäßigkeiten des Knochenbaus, ein Diabetes mellitus, eine Hörstörung und eine leichte Intelligenzminderung.
"Verursacher dieses syndromalen Krankheitsbildes ist eine Punktmutation, das heißt der Austausch eines einzigen Bausteins in der DNA-Sequenz des TANGO1-Gens", berichtete Thomas Haaf: "Die Eltern sind miteinander blutsverwandt; beide tragen die seltene Mutation in ihrem Erbgut und haben sie jeweils an ihre Kinder weitergegeben. Da sie selbst neben der defekten noch eine unveränderte, wild-typische Gen-Kopie besitzen, sind sie selbst gesund."
TANGO1 steht für "Transport and Golgi Organization 1 Protein". Das Eiweiß ist für den zellulären Export und die Sekretion großer Kollagen-Moleküle verantwortlich. Trotz seiner zentralen Rolle beim Transport dieser Moleküle waren beim Menschen bisher noch keine genetischen Defekte in TANGO1 bekannt. "Kollagene sind die meist-produzierten Moleküle im menschlichen Körper. Sie machen etwa 25% unseres Trockengewichtes aus“, erklärte Haaf. Aufgrund ihrer enormen Zugfestigkeit sind Kollagenfasern ein wichtiger Bestandteil von Bindegewebe, wie beispielsweise Knochen, Zähne oder Knorpel, und Haut.
Grundbaustein jeder Kollagenfaser ist eine Kollagen-Tripel-Helix – drei spiralförmige Stränge, die umeinandergewickelt sind. Ihre Länge kann bis zu 450 Nanometer erreichen. Im sogenannten endoplasmatischen Reticulum (ER) der Zelle wird die Helix aus verschiedenen Proteinketten zusammengesetzt und muss dann in das Zellplasma exportiert und sezerniert werden. "Das TANGO1-Protein, das den Transport dieser für die Zelle gigantischen Moleküle bewerkstelligt, hat sowohl einen lumenalen, das heißt im endoplasmatischen Reticulum lokalisierten Teil, als auch einen Abschnitt, der ins Zellplasma reicht", erklärte Haaf weiter.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Punktmutation Störungen beim Übertragen der Information vom Gen zum Protein führt. Die mRNA wird nicht regelkonform gebildet. "Dem dadurch kodierten TANGO1-Protein fehlt der Abschnitt, der normalerweise ins Zytoplasma reicht. Außerdem ist es nicht an den korrekten Stellen in den Zellen lokalisiert", so Haaf. Zellkulturexperimente haben gezeigt, dass dadurch die Sekretion von Kollagen 1 und anderen Kollagenen gestört wird.
Die meisten Symptome der vier Brüder, wie etwa die gestörte Entwicklung von Zähnen und Knochen, sind mit einer Kollagenerkrankung gut vereinbar. "Kollagenopathien können also nicht nur durch defekte Kollagene selbst, sondern auch durch Sekretions-Störungen verursacht werden", lautete denn auch die Schlussfolgerung des Forschungsteams. Andere Symptome, beispielsweise der Diabetes mellitus, passen da nicht sofort ins Bild. "Sie werden wahrscheinlich nicht durch einen gestörten Export von Kollagenen, sondern von anderen Molekülen verursacht", so Thomas Haaf. Ein besseres Verständnis des TANGO1-abhängigen Transports könnte also auch neue Erkenntnisse über die Entstehung von Diabetes liefern und neue Angriffspunkte für therapeutische Entwicklungen aufzeigen.