Neu aufgetauchte, wohl ansteckendere Virus-Varianten ließen die Sorge aufkeimen: Was, wenn die verfügbaren Impfstoffe bei ihnen weniger gut oder gar nicht wirken? Eine Analyse bestätigt, dass dies wohl nicht passieren wird - noch nicht zumindest.
In Deutschland und vielen weiteren Ländern wurde mittlerweile mehrfach eine Coronavirus-Variante mit dem Namen B.1.1.7 nachgewiesen, die wahrscheinlich ansteckender als frühere Formen ist. Was, wenn alle bisher verfügbaren Impfstoffe gegen B.1.1.7 und ähnliche Varianten wie 501Y.V2, die kürzlich erstmals in Südafrika nachgewiesen wurde, weniger gut oder gar nicht mehr wirken? Eine aktuelle Analyse gibt vorerst Entwarnung.
Zumindest der Impfstoff von Biontech/Pfizer wirkt auch gegen bestimmte andere Varianten des Coronavirus, das zeigten Antikörper im Blut von 20 geimpften Menschen, wie aus der noch nicht in einem Fachjournal veröffentlichten und von unabhängigen Experten geprüften Studie des US-Pharmaunternehmens Pfizer und der Universität Texas hervorgeht. Der Impfstoff erreicht demnach bei den abgewandelten Formen wahrscheinlich ebenfalls eine Wirksamkeit von um die 95 Prozent.
Die Variante B.1.1.7 wurde zunächst in Großbritannien nachgewiesen. Sie und die in Südafrika aufgetauchte Variante 501Y.V2 zeichnen sich durch Veränderungen im Erbgut aus, die mehrere Veränderungen beim Spike-Protein auf der Oberfläche bewirken. Mit ihm dockt das Virus an Körperzellen an, um in diese einzudringen. Das Spike-Protein ist aber auch das indirekte Ziel der in Deutschland zugelassenen RNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.
Die Mittel regen Körperzellen an, dieses Protein herzustellen. Das gaukelt dem Körper eine Infektion vor, das Immunsystem wird aktiviert und bildet unter anderem Antikörper gegen das Protein. Sie sollen bei einer späteren Infektion bei der schnellen Abwehr des Virus helfen, indem sie an das Spike-Protein binden und es so für die Abwehr als "feindlich" markieren.
Theoretisch wäre es durchaus denkbar, dass Veränderungen am Spike-Protein von Sars-CoV-2 dazu führen, dass die gebildeten Antikörper nicht mehr binden können. Der Impfstoff wäre damit unwirksam. Doch bislang gibt es keine Hinweise darauf. Forscher sind optimistisch, dass das auch so bleibt. Denn der Immunantwort eines Geimpften ist gar nicht so leicht zu entkommen.
Das liegt unter anderem daran, dass Menschen nach der Corona-Impfung nicht nur eine einzelne Art schützender Antikörper gegen das Spike-Protein herstellen, sondern viele verschiedene, wie der Berliner Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast erklärte. Fachleute sprechen von polyklonalen Antikörpern. Dieser Antikörper-Mix kann an einer Vielzahl von Bindestellen am Spike-Protein angreifen. Deshalb dürften einzelne Veränderungen an diesem Protein erst einmal wenig Auswirkungen haben.
Sehr viel spreche dafür, "dass die Veränderungen bisher bei weitem nicht so substanziell sind, dass die jetzt kommenden Impfstoffe nicht wirken", sagt auch Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.
Zudem gebe es durchaus Limits, wie stark sich das Spike-Protein verändern kann, erklärte Adam Lauring, Experte für die Evolution von RNA-Viren an der US-amerikanischen Universität Michigan, kürzlich in einem Podcast. "Es hat nicht unbegrenzt viele Möglichkeiten, durch Veränderungen den Antikörpern zu entkommen, weil es ja immer noch seine Aufgabe erfüllen muss." Dazu gehört es, an Körperzellen zu binden und dem Virus das Eindringen zu ermöglichen.
Drosten betont noch einen weiteren Aspekt. "Die Immunität läuft nicht nur über Antikörper." T-Zellen im menschlichen Immunsystem hätten andere Bindestellen als Antikörper. Die Bindestellen der T-Zellen seien am Anfang einer Epidemie oft noch gar nicht von solchen Mutationen betroffen. Die meisten Impfstoffe riefen wohl auch eine ganz gute T-Zell-Immunität hervor, so Drosten.
Einen Effekt wie bei der Grippe - Fachleute sprechen von Gendrift - erwartet Drosten bei Sars-CoV-2 erst in einigen Jahren, wenn das Coronavirus endemisch geworden ist. Grippe-Impfstoffe müssen wegen Veränderungen der Viren immer wieder angepasst werden.
Grundsätzlich sei es bei einer hohen Zahl an Neuinfektionen wahrscheinlicher, dass Varianten mit für sie günstigen Mutationen entstehen und sich verbreiten, sagt Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf. "Nach dem jetzt begonnenen Impfstart können das auch Varianten sein, vor denen die Impfantwort nicht ausreichend schützt." Daher müssten Fälle sehr gut untersucht werden, bei denen es trotz Impfung zu einer Infektion komme.
"Wir werden mehr von solchen Varianten sehen in Zukunft", sagt Isabella Eckerle von der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf. Um sie frühzeitig erkennen zu können, sei es nötig, das Viruserbgut aus Proben auf breiter Basis zu entziffern. Die Varianten seien als "Weckruf" zu sehen, betont auch Andreas Bergthaler vom Forschungsinstitut für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (CeMM). Die Systeme zur Erkennung müssten europaweit ausgebaut und koordiniert werden.
Doch selbst wenn der schlimmste Fall eintreten sollte und Corona-Varianten nicht mehr auf die vorhandenen Impfstoffe anspringen: "Tatsächlich lassen sich gerade die RNA-Impfstoffe technisch relativ einfach modifizieren", erklärt Timm. "Es müsste dann allerdings geklärt werden, wie die erneute Zulassung eines modifizierten Impfstoffs aussieht." Bergthaler betont: "Wir dürfen uns nicht in der falschen Sicherheit wähnen, dass wir mit den Impfstoffen schon am Ende des Marathons angekommen sind."