Pharmakologen klärten unlängst das molekulare Verhalten des Nociceptin-Rezeptors sowohl in der Zelle als auch im Organismus detailliert auf. Ihre Untersuchung des vierten Opioid-Rezeptors ist eine zentrale Vorarbeit für die Entwicklung und klinische Prüfung neuer Schmerzmittel.
Der auch als Orphanin-FQ-Rezeptor bezeichnete Nociceptin-Rezeptor ist der jüngste in der Familie der Opioid-Rezeptoren. Diese großen Proteinmoleküle befinden sich in der Membran von Nervenzellen und geben als Andockstellen für spezifische, von außen kommende Signalstoffe Informationen in die Zelle weiter. Auf diese Weise sind sie im zentralen Nervensystem an der Steuerung von Empfindungen wie Schmerz, Motivation oder Belohnung beteiligt. Sowohl der am besten untersuchte µ-Opioid-Rezeptor, an den Morphin bindet, als auch die δ- und κ-Opioid-Rezeptoren sowie der vor fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal beschriebene Nociceptin-Rezeptor sind Zielstrukturen für schmerzlindernde Wirkstoffe. Allerdings ist diese Wirkung je nach Rezeptor von verschiedenen unerwünschten Nebenwirkungen begleitet, die von Atemlähmung, Sucht und Toleranzentwicklung über Anfallsneigung und Gemütsveränderungen bis zur Benommenheit reichen.
Die Entwicklung und aggressive Vermarktung synthetischer, hoch wirksamer Opioide, die am µ-Opioid-Rezeptor angreifen, aber bei längerer Einnahme schnell ihre Wirkung verlieren und abhängig machen, hat zur sogenannten Opioidkrise geführt, mit täglich etwa 130 Drogentoten allein in den USA. Wissenschaftler und Pharmaunternehmen suchen deshalb mit Hochdruck nach neuen, risikoärmeren Wirksystemen für die Linderung starker Schmerzen. In den Blickpunkt nehmen sie dabei auch die nächsten Verwandten des µ-Opioid-Rezeptors.
Stefan Schulz, Professor für Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Jena, erforscht mit seiner Arbeitsgruppe seit Jahren, wie die Signalübertragung an Opioid-Rezeptoren reguliert wird. Ein wichtiger Schritt in diesem Prozess ist die Bindung von Phosphatgruppen an das Rezeptormolekül. "Die Phosphorylierung ändert die Form und Bindungsmöglichkeiten des Moleküls und reguliert so die Rezeptoraktivität. Besondere Bedeutung hat dieser Prozess bei der Desensitisierung, wenn der Rezeptor bei einem Überangebot von Signalstoffen für diese unempfindlicher und schließlich in die Zelle internalisiert wird", so Schulz.
Im Rahmen einer Forschungskooperation konnte die Arbeitsgruppe die Aktivität des zur Opioid-Rezeptor-Familie gezählten Nociceptin-Rezeptors untersuchen, ihn gleichsam pharmakologisch charakterisieren. Die WissenschaftlerInnen untersuchten die Phosphorylierung des Rezeptors nach Gabe von verschiedenen natürlichen und synthetischen Signalstoffen.
"Durch die Markierung mit spezifischen Antikörpern konnten wir in der Zellkultur nicht nur vier Phosphorylierungsstellen lokalisieren, sondern auch die zeitliche Abfolge der Phosphorylierung bestimmen. Die einzelnen Signalstoffe unterscheiden sich in der Effektivität, mit der sie den Rezeptor aktivieren und die Phosphorylierung auslösen“, fasste die Erstautorin der Arbeit, Dr. Anika Mann, wesentliche Ergebnisse zusammen. Diese ließen sich auch im Tierversuch bestätigen. Dazu nutzen die WissenschaftlerInnen genveränderte Mäuse, an deren Nociceptin-Rezeptor ein Farbstoffmolekül angekoppelt ist. Hier zeigte sich eine unterschiedliche Rezeptoraktivierung auch in Abhängigkeit von der Dosis der untersuchten Wirkstoffe.
Besonders interessant erscheinen den WissenschaftlerInnen Substanzen, die sowohl den µ-Opioid-Rezeptor als auch den Nociceptin-Rezeptor aktivieren. "Wir haben Hinweise darauf, dass sich die analgetische Wirkung auf diese Weise verstärkt, im Vergleich zu den entsprechenden Wirkstoffdosen bisheriger Opioide die Nebenwirkungen aber weit schwächer ausgeprägt sind. In diese Richtung lohnt sich weitere Forschung“, ist sich Stefan Schulz sicher. Mit der pharmakologischen Visitenkarte des Nociceptin-Rezeptors haben die Wissenschaftler dafür nun einen ersten, aber wesentlichen Beitrag geleistet.