Krebs ist eine Krankheit der Gene – aber nicht nur. Denn für das Krankheitsgeschehen ist auch entscheidend, welche Proteine tatsächlich entstehen und wie aktiv diese sind. Ein Forschungsteam des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg belegt jetzt: Eine gezielte Proteinanalyse führt bei einigen Betroffenen zu einer völlig anderen Therapieempfehlung als die, die aufgrund von genetischen Daten nahe liegt. Die Heidelberger Forschenden ebnen mit ihrer Erkenntnis den Weg, um Behandlungsstrategien für individuelle KrebspatientInnen künftig noch gezielter auswählen zu können.
Im Rahmen der MASTER-Studie untersuche ein Forschungsteam am NCT unter anderem, wie gut PatientInnen mit verschiedenen Tumoren auf eine Therapie ansprachen, die ihrem individuellen genetischen Profil entsprach. "Dabei hat sich gezeigt, dass genetische Untersuchungen bei vielen Patienten sehr aussagekräftig sind", erklärt Stefan Wiemann, DKFZ. "Bei einigen Betroffenen zeigte dieses Vorgehen jedoch leider nur einen geringen Erfolg und die ausgewählte Therapie brachte nicht den erhofften Effekt." Ein Grund dafür könnte sein, dass allein das Vorhandensein einer Mutation nicht zwingend bedeutet, dass diese auch zum Tragen kommt, oder ob das betroffene Gen für das Tumorgeschehen relevant ist. Und auch das Vorhandensein bestimmter RNA-Abschriften dieser Gene lässt noch nicht endgültig darauf schließen, ob auch das zugehörige Protein entsteht und mit welchen Modifikationen es in der Tumorzelle versehen wird. Diese Modifikationen zeigen, wie aktiv ein Protein ist.
"Für uns lag es daher nahe, auch auf dieser Ebene genauer hinzuschauen: Welche Proteine sind vermehrt vorhanden? Und wie aktiv sind sie?", sagt Wiemann. Der DKFZ-Forscher und seine KollegInnen suchten daher in Tumorproben von Teilnehmenden der MASTER-Studie nach dem Vorhandensein von Proteinen, die entscheidend sind für das Krankheitsgeschehen. Außerdem fahndeten sie nach spezifischen Phosphorylierungen dieser Proteine. Dabei handelt es sich um chemische Anhängsel, die über die Aktivität des jeweiligen Eiweißmoleküls Auskunft geben.
"Auf der Grundlage dieser Daten haben wir die Patienten dann nochmals neu so genannten therapeutischen ‚Baskets‘ zugeteilt, also 'Körben' oder Gruppen, bei denen bestimmte Therapeutika als aussichtsreich gelten, während andere eher wenig Erfolg versprechen", berichtet Wiemann. Diese Einteilung glichen sie mit der Behandlung ab, die die Testpersonen tatsächlich bekommen hatten. Dabei zeigte sich bei einigen Teilnehmenden eine gute Übereinstimmung. "Wir hatten aber auch Patienten in der Studie, bei denen die Proteinanalyse wahrscheinlich zu einer anderen Empfehlung geführt hätte."
Die Proteindaten könnten bei einigen Studienteilnehmenden im Nachhinein auch das schlechte Ansprechen auf die verabreichte Therapie erklären. Die WissenschaftlerInnen hoffen daher, künftig durch zusätzliche Proteinanalysen noch exaktere Behandlungsempfehlungen geben zu können. Ob dies den Therapieerfolg tatsächlich verbessert, werden aber künftige Studien noch belegen müssen, bei denen Ergebnisse von Proteinanalysen direkt in die Therapieentscheidung einbezogen werden.
"Für uns steht grundsätzlich im Vordergrund, die beste Behandlungsstrategie mit dem größtmöglichen Nutzen für unsere Patienten auszuwählen", sagt Stefan Fröhling, Geschäftsführender Direktor des NCT und Mitautor der Studie. Dafür werden auch weiterhin genetische Analysen ein wichtiges Werkzeug sein. "Wir haben aber die Hoffnung, dass wir in Zukunft durch zusätzliche Proteinanalysen noch individuellere und konkretere Therapieempfehlungen geben können."
Quelle:
Wahjudi LW, Bernhardt S, Abnaof K, Horak P, Kreutzfeldt S, Heining C, Borgoni S, Becki C, Berg D, Richter D, Hutter B, Uhrig S, Pfütze K, Leichsenring J, Glimm H, Brors B, von Kalle C, Stenzinger A, Korf U, Fröhling S, Wiemann S. Integrating Proteomics into Precision Oncology. International Journal of Cancer. http://dx.doi.org/10.1002/ijc.33301