Rheuma und Psyche: Wenn die Krankheit krank macht

Die rheumatoide Arthritis ist keine reine Gelenkerkrankung, die Autoimmunreaktion zieht den ganzen Körper in Mitleidenschaft.

Die rheumatoide Arthritis ist keine reine Gelenkerkrankung, die Autoimmunreaktion zieht den ganzen Körper in Mitleidenschaft.

Typische Begleiterscheinungen sind neben den Schmerzen Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Lustlosigkeit und depressive Verstimmungen. In der Sitzung "Suffering in Silence" auf dem EULAR ging es um die psychologischen Auswirkungen rheumatischer Erkrankungen und wie der Circulus vitiosus des stillen Leidens durchbrochen werden kann.

Viele Ärzte glauben nicht an die psychischen Folgen einer rheumatischen Erkrankung

In einer landesweiten Untersuchung in 6 Krankenhäusern ermittelte Dr. Emma Dures von der Universität Bristol in England jene Aspekte der Krankheit, für die Rheumapatienten Hilfe wünschen. In erster Linie waren es die körperlichen Symptome, doch dann folgten bereits die Gefühle, die Arbeit, die Erholung und die Niedergeschlagenheit. Nur 6 % gaben keinerlei Wünsche an. Die Befragten klagten über die schlechte Kommunikation mit den Ärzten und deren Verweigerung, über psychische Themen oder das Coping zu sprechen. [1]

Dieser Befund deckt sich mit einer Umfrage, für die Emma Dures 148 Kliniken anschrieb und von denen die Hälfte geantwortet hatten. Zwei Drittel der Hospitäler gaben an, Patienten nicht routinemäßig nach ihrem psychischen Befinden zu befragen, 42 % verwiesen auf andere Anbieter. Die Hinderungsgründe: Zu wenig Zeit, finanzielle Kosten, Mangel an Schulung und Erfahrung und manche meinten, es gehöre nicht zu ihrem Aufgabenbereich.

"Ein Drittel der ‚immer oder normalerweise auftretenden psychischen Symptome werden von Ärzten nicht geglaubt oder nicht verstanden" kritisierte die Psychologin. Sie ist zurzeit an der Entwicklung eines Kompetenztrainings für rheumatologische Kliniker beteiligt und arbeitet an Programmen zum Selbstmanagement für Rheumapatienten.

Der Teufelskreis von Verbergen und Verdrängen

Dass psychologische Unterstützung tatsächlich helfen kann, den Teufelskreis von "Verbergen und Verdrängen" zu durchbrechen, wurde durch den Vortrag einer jungen betroffenen Mutter deutlich. Anja Marchal aus Belgien erzählte in bewegenden Worten von ihren Versuchen, die Krankheit vor sich, ihrer Familie und ihrem Arbeitgeber zu verstecken und wie sie sich dadurch immer mehr in psychische Probleme verstrickt hatte. Erst als sie sich entschloss, an einer Gruppentherapie teilzunehmen, konnte sie sich ihren Ängsten stellen und die Defizite, die das Rheuma mit sich brachte, akzeptieren. Damit gewann sie wieder die Kontrolle über ihren Körper, ihre Gedanken und ihre Gefühle. Sie wurde sich bewusst, dass nicht die Krankheit oder die Familie oder der Arbeitgeber ihr Leben bestimmten, sondern ganz allein sie selbst.

Achtsamkeit und Akzeptanz durchbrechen den Teufelskreis

Auch Dr. Vasiliki Christodoulou aus Griechenland beschrieb das Leiden an einer chronischen Krankheit als Circulus vitiosus: Schmerz und Müdigkeit veranlassen den Kranken, die Symptome zu bekämpfen. Das führe unweigerlich zu einer Erfahrung des Versagens. Dies schränke die Freiheit ein und lasse gute Gelegenheiten verstreichen. Die Folge davon sei Leiden, was wiederum zur Bekämpfung der Symptome führe. Eine achtsame Haltung hingegen akzeptiere den Schmerz und ermögliche die Wahl zwischen sinnvollen Richtungen. Das führe zu Erfolgserlebnissen und diese zum Eindruck, die Freiheit der Wahl zu besitzen, was letztlich die Wahrnehmung von Schmerzen herabsetze.

Christodoulou arbeitet mit dem Konzept der "Acceptance- and Commitment-Therapy". Deren Ziel ist es, die psychische Flexibilität zu erhöhen, die für ein wertorientiertes Leben unter ständig wechselnden inneren und äußeren Lebensbedingungen erforderlich ist. Die therapeutische Arbeit soll dem Patienten helfen, spezifische Kompetenzen einzuüben wie Akzeptanz, Achtsamkeit, Selbstwert, kognitive Defusion und Engagement. [2]

Wie ihr Konzept der Achtsamkeit und Akzeptanz auf den Körper wirkt, sollten die Zuhörer auch am eigenen Leib erfahren: Die Psychologin führte das Auditorium durch eine Art autogenes Training in die Tiefenentspannung.

 "Mein Rheuma wird erwachsen": Ein Projekt für Jugendliche

Auf den Boden der unangenehmen Tatsachen zurück führte der Vortrag von Karl Cattelaens von der Geschäftsstelle der Deutschen Rheumaliga: Jeder dritte junge Patient bricht seine Therapie beim Wechsel vom Kinderrheumatologen zum Erwachsenen-Rheumatologen ab; unter Umständen mit schweren Folgen für die Gesundheit. Das liegt vor allem an einer eklatanten Unterversorgung: In ganz Deutschland gibt es nur 30 rheumatologische Transitionszentren.

Bis zum 18. Lebensjahr managen meist die Eltern alles, was die Krankheit ihres Kindes betrifft. Erwachsenen-Rheumatologen besitzen zu wenig Erfahrung im Umgang mit Teenagern und lehnen diese oft grundsätzlich als Patienten ab. Mit der Folge, dass die jungen Patienten fast nichts über ihr Leiden wissen. Nur jede(r) Zweite konnte bei einer Umfrage seine (oder ihre) Diagnose korrekt wiedergeben.

Um die Abbruchquote und das Informationsdefizit der Jugendlichen zu verringern, hat die Rheumaliga das Projekt "Mein Rheuma wird erwachsen" initiiert.[3] Unterstützt vom Gesundheitsministerium und dem Deutschen Rheuma-Forschungszentrum wurden zunächst die Bedürfnisse der jungen Rheumatiker ermittelt. Im Laufe von zwei Jahren wurden Camps organisiert, Informationsmaterial gedruckt und eine Homepage erstellt.

Die Webseite[4] ist die zentrale virtuelle Anlaufstelle. Als interaktives Selbsthilfemodul aufgebaut, vereint sie alle nötigen Informationen für einen reibungslosen Übergang. Junge Rheumapatienten, die diesen bereits bewältigt haben, fungieren als Transitionshelfer. Die so genannten Peers stellen sich auf der Internetseite vor, erzählen ihre persönlichen Geschichten, geben Tipps und beantworten Fragen. Schon im ersten Jahr verzeichnete die Internetseite über 10.000 Besucher.

Das Modellprojekt läuft seit 2014 und ist bis 2017 geplant. Ein Nachfolgeprojekt wird sich noch stärker auf die Kommunikation zwischen Ärzten und jungen Patienten konzentrieren, und alle anderen Aktivitäten für die Jugendlichen, ihre Eltern und ihre Ärzte fortführen.

Weitere Informationen zum Thema Rheumatologie


Referenzen: [1] Dures, E, et al. Musculoskeletal Care. ISSN 1478-2189  http://eprints.uwe.ac.uk/29800

[2] http://www.contemporarypsychotherapy.org/vol-4-no-1-spring-2012/acceptance-and-commitment-therapy/

[3] https://rheuma-liga-berlin.de/blog/2016/transitions-projekt-startet-durch/

[4]  www.mein-rheuma-wird-erwachsen.de.