Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) derzeit, ob ein Test von Neugeborenen in Deutschland auf die Sichelzellkrankheit sinnvoll wäre. Nach vorläufiger Auswertung der Studienlage sieht das Institut einen Anhaltspunkt für einen Nutzen.
Die Sichelzellkrankheit (englisch: sickle cell disease, kurz SCD) ist eine erbliche Erkrankung des Blutes, die die roten Blutkörperchen betrifft. Das Hämoglobin ist krankhaft verändert und macht aus den runden, glatten, weichen und gut im Blutstrom beweglichen roten Blutkörperchen spitze, harte, lange Zellen, die wie Sicheln aussehen. Diese "Sichelzellen" zerfallen schneller als gesunde rote Blutkörperchen, was zur Blutarmut (Anämie) führt. Die sperrigen Sichelzellen bleiben zudem in den Gefäßen vieler Organe hängen. Besonders häufig verstopfen sie die Gefäße der Milz, die dann ihre Abwehrfunktion gegen Erreger nicht mehr gut ausüben kann.
Vor allem Kinder in den ersten Lebensjahren sind sehr anfällig für Infektionen, die oft lebensgefährlich sein können. Deshalb empfehlen medizinische Leitlinien bei betroffenen Kindern ab dem dritten Lebensmonat eine Pneumokokken-Impfung und eine Penizillin-Prophylaxe, die in der Screeningstudie auch untersucht wurde. Allerdings ist diese Behandlung in Deutschland momentan nicht zugelassen und nur im Off-Label-Use möglich.
SCD kommt regional sehr unterschiedlich häufig vor und korreliert mit der Ausbreitung von Malaria, weil Betroffene weniger anfällig für deren schwere Verlaufsformen sind. Verlässliche Angaben zur Zahl der in Deutschland mit SCD geborenen Kinder gibt es nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit etwa 3.000 Menschen in Deutschland mit dieser Krankheit leben. Es ist davon auszugehen, dass die SCD in Deutschland nur bei Nachfahren aus der afrikanischen Subsahara, dem östlichen Mittelmeerraum, dem Nahen Osten und Indien auftritt.
Ziel eines Neugeborenenscreenings auf SCD ist die frühe Identifikation und Behandlung der betroffenen Kinder. Durch die Vorverlegung der Diagnosestellung in Verbindung mit einer Angehörigenschulung und infektionsprophylaktischen Maßnahmen ab dem dritten Lebensmonat soll die Lebenserwartung der Kinder erhöht werden.
Dabei lässt sich eine SCD über eine Blutprobe diagnostizieren: Auf Filterpapierkarten aufgetropftes, getrocknetes Blut kann dafür verwendet werden. Derzeit gehört die SCD nicht zu den Zielerkrankungen des in Deutschland nach der Kinder-Richtlinie des G-BA durchgeführten Neugeborenenscreenings, für das in der 36. bis 72. Lebensstunde Fersenblut auf Filterpapierkarten getropft wird. In den USA, England, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und Belgien ist ein Neugeborenenscreening auf die Sichelzellkrankheit hingegen etabliert.
Zur Beantwortung der Frage, ob der Test von Neugeborenen in Deutschland auf die Sichelzellkrankheit sinnvoll wäre, griff das IQWiG zurück auf eine retrospektive, historisch vergleichende Screeningstudie aus Jamaika. Auf der Karibikinsel wurden zwischen 1995 und 2007 insgesamt 150.803 Neugeborene auf SCD gescreent und bei diagnostizierter SCD frühzeitig behandelt. Das heißt, die Kinder erhielten ab dem vierten Lebensmonat eine Penizillin-Prophylaxe und wurden regelmäßig untersucht. Darüber hinaus klärten die Ärztinnen und Ärzte die Eltern umfassend über die Krankheit auf und zeigten ihnen, wie sie bei ihrem Kind Veränderungen der Milz ertasten können.
Der Effekt durch die frühe Diagnose einer Sichelzellkrankheit in Verbindung mit frühen Interventionsmaßnahmen ist sehr deutlich, denn die Sterblichkeit sinkt um den Faktor 10: Bis zum ersten Lebensjahr verstarben in der Gruppe der frühzeitig behandelten Kinder 0,01 %, in der Gruppe der unbehandelten Kinder waren es 0,1 %. Für die Auswertungen bis zum fünften Lebensjahr zeigen sich konsistente Effekte.
Aufgrund dieser angeführten Studie sieht das IQWiG einen Anhaltspunkt für einen Nutzen zugunsten eines Neugeborenenscreenings auf SCD in Kombination mit einem Vorverlegen der Diagnosestellung sowie weiteren Interventionsmaßnahmen.