Jedes Jahr lassen sich in den Vereinigten Staaten 700.000 Männer auf Infertilität untersuchen. Die Subfertilität des Mannes gilt als Biomarker für seine allgemeine körperliche Gesundheit. Sie ist bereits mit einem erhöhten Risiko für Hodenkrebs, dem Kolonkarzinom, einer verkürzten Lebenszeit sowie mit kardiovaskulären Erkrankungen und dem metabolischen Syndrom in Verbindung gebracht worden. Epidemiologische Studien haben einen Zusammenhang zwischen Infertilität und Hodenkrebs gezeigt, mit einem erhöhten Risiko, das auf 30-90 Prozent geschätzt wird. Gleichermaßen haben unfruchtbare Männer ein 2,6-fach erhöhtes Risiko, ein Prostatakarzinom zu entwickeln. Über das Krebsrisiko infertiler Männer ist dagegen noch wenig bekannt. Eisenberg et al. nutzten Informationen aus einer medizinischen Datenbank, um das Krebsrisiko unfruchtbarer Männer, von Männern mit zuvor erfolgter Vasektomie und gesunden Probanden miteinander zu vergleichen, und demonstrierten so das Vorliegen eines erhöhten Krebsrisikos für den Urogenitaltrakt, besonders für Hodenkrebs, bei infertilen Männern. Dennoch zeigte die Studie Limitationen bei der Analyse des Schadenniveaus und konnte daher keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen spezifischer Samenqualität und Krebsrisiko herstellen.
Hodenkrebs, ähnlich wie männliche Unfruchtbarkeit, ist möglicherweise das Resultat aus einem Zusammenspiel von genetischen und epigenetischen Schäden sowie unvorteilhaften Umwelteinflüssen. Im Gegensatz zur Infertilität ist für Hodenkrebs ein gut dokumentiertes erbliches Risiko bekannt. Hat ein Mann einen Bruder mit Hodenkrebs, ist sein relatives Risiko, ebenfalls zu erkranken, acht bis zwölf Mal höher als das der Allgemeinbevölkerung. Das relative Risiko ist zwei- bis viermal höher, wenn der Vater eine Hodenkrebsvorgeschichte aufweist. Anderson et al. stellten die Hypothese auf, dass der Zusammenhang zwischen Unfruchtbarkeit und Hodenkrebs auch eine erbliche Komponente haben könnte, wobei die genetischen Faktoren, die einen Mann für Unfruchtbarkeit prädisponieren, auch zu einem erhöhten Hodenkrebsrisiko beitragen. Vor diesem Hintergrund haben Anderson et al. versucht, einen familiären Zusammenhang zwischen männlicher Unfruchtbarkeit und dem Krebsrisiko herzustellen, und zwar mithilfe von Daten der Utah Population Database (UPD), die mit den Krebsregistern von Utah und Idaho sowie mit der Universität von Utah (UU) und den Intermountain Health Care (IHC) semen analysis (SA) databases (Datenbanken zu Samenanalysen) verbunden ist. Ihr vorrangiges Ziel war es, den männlichen Phänotyp für Unfruchtbarkeit zu charakterisieren, und zwar basierend auf Krebsrisikoraten von Verwandten ersten und zweiten Grades jener Patienten, die sich einer Samenanalyse unterzogen hatten. Außerdem wurde untersucht, ob bestimmte Defekte in der Spermienqualität auf erhöhte Krebsrisikoraten bei Familienmitgliedern schließen ließen.
In der retrospektiven Studie von Anderson et al. wurden also familiäre Krebsrisiken von Männern mit vorliegendem Spermiogramm mit nach Alter gematchten Vergleichsindividuen aus der fertilen Allgemeinbevölkerung verglichen, und zwar unter Zuhilfenahme gemeinsamer Daten aus zwei großen Samenanalysendatenbanken und der UPDB. Sie fanden ein signifikant erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs bei Verwandten mit Azoospermie, ein erhöhtes Risiko für Hodenkrebs für Verwandte von Männern mit Normozoospermie und kein erhöhtes Prostatakrebsrisiko für Verwandte von Männern mit vorliegender Samenanalyse im Vergleich zu fertilen Kontrollindividuen. Männliche Infertilität kann aus einer sehr heterogenen Gruppe an Krankheiten entstehen, die letztlich zu der Unfähigkeit führt, auf natürlichem Wege Kinder zu bekommen. Die Ätiologie von über der Hälfte der unfruchtbaren Männer, die sich einer kompletten Infertilitätsdiagnostik unterzogen haben, bleibt unbekannt. Monogenetische Faktoren tragen in etwa zu 30 Prozent zur Diagnosestellung männlicher Unfruchtbarkeit bei, und allein über 1.500 Gene sollen bei der Spermiogenese eine Rolle spielen. Je mehr genetische Mechanismen für die Genesen von Krebs und Unfruchtbarkeit enträtselt werden, desto mehr gemeinsame Wegstrecken werden entdeckt. Rekombinationsanomalien, die zur Aneuploidie führen, Mikrosatelliteninstabilitäten, genetische Polymorphismen in Mismatch-Repair-Genen und Keimbahnmutationen sind allesamt sowohl mit Unfruchtbarkeit als auch mit malignen Tumoren vergesellschaftet. Beweisführungen aus Nagetiermodellen demonstrieren, dass die Deletion von meiotischen Regulatoren auf DNA-Mismatch-Repair-Proteinen zu Unfruchtbarkeit und Tumorgenese führen kann und genau diese Deletionen sind bei infertilen Männern entdeckt worden. Darüber hinaus tragen vermutlich auch epigenetische Faktoren zur Karzinogenese des Urogenitaltraktes sowie zur normalen Spermienfunktion bei.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie war folgende: Anderson et al. stellten die Hypothese auf, dass ein gemeinsamer genetischer Schaden Bestandteil jenes Prozesses ist, der sowohl zum Schilddrüsenkarzinom als auch zum kompletten Stopp der Spermatogenese führt. So sind zum Beispiel Mutationen an Schilddrüsenrezeptoren mit einem erhöhten Risiko für ein papilläres Schilddrüsenkarzinom vergesellschaftet, und aberrante Alpha-Untereinheiten haben auf einen infertilen Phänotypen hingewiesen. Allerdings konnten Anderson und seine Kollegen nicht herausfinden, ob es sich bei den Schilddrüsenkrebs-Fällen aus der Datenbank um das papilläre Schilddrüsenkarzinom handelte. Zudem blieb es unklar, ob die infertilen Phänotypen mit Mutationen am Alpha-Rezeptor eine komplette Azoospermie aufwiesen. Früher vorgelegte epidemiologische Studien zeigten eine leicht erhöhte Krebsinzidenz und –mortalität für Männer mit Klinefeltersyndrom, einschließlich Brust- und Mediastinaltumoren.
Biologische Mechanismen wie diese könnten der Fokus künftiger Forschung sein, wenn man den Umfang der Informationen aus Biodatenbanken mit Proben von Männern bedenkt, die zu diagnostischen Zwecken ein Spermiogramm anfertigen ließen.