Etwa ein Drittel aller Menschen – durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch – sind für wenigstens eine sexuell übertragbare Infektion (STI) positiv. Allerdings sind viele der Betroffenen völlig asymptomatisch. Was also bedeutet der positive Nachweis eines Erregers und soll in jedem Fall therapiert werden?
Was für HIV und Syphilis sicher unbestritten sinnvoll ist, wirft mit Blick auf andere STI mehr und mehr Fragen auf – das STI-Screening in der Praxis. Derzeit sind circa 200 Millionen Menschen weltweit mit Syphilis infiziert, einer bakteriellen Erkrankung, die glücklicherweise auch heute noch gut mit Antibiotika behandelt werden kann. Ohne Therapie jedoch wird die Infektion innerhalb von Jahren symptomatisch und endet meist in einer Neurosyphilis. Ganz ähnlich verhält es sich mit HIV. Eine HIV-Infektion wird unbehandelt zum Tode durch AIDS führen. Aufgrund der schweren Verläufe dieser beiden STI wird klar, weshalb ein Screening und die möglichst rasche Diagnose und Behandlung von Betroffenen so wichtig sind. Doch was ist mit anderen STI?
Leider werden die anderen STI, wie z. B. Chlamydien-Infektionen oder Mykoplasmen, häufig nicht so ernst genommen. Schlechte Therapiestandards treffen überdies regelmäßig mit Fehltherapien zusammen. Im Falle der Gonorrhoe (Tripper) fördert ein solch unbedarftes Vorgehen sogar Antibiotika-Resistenzen, sodass sich bereits heute erste multiresistente Gonokokken-Stämme ausbreiten.
Eine besonders abenteuerliche Situation besteht bei der Diagnose und Therapie der Mykoplasmen-Infektionen (Mycoplasma genitalium). Die moderne Multiplex-PCR erleichtert den Nachweis solcher Mykoplasmen deutlich – doch mit welcher klinischen Relevanz? Die Mykoplasmen sind in der Mehrzahl der Fälle asymptomatisch, und es herrscht selbst in der Fachwelt Uneinigkeit darüber, ob solche stummen Infektionen überhaupt therapiert werden sollten und wenn ja, für wie lange? Die DSTIG-Leitlinie empfiehlt hier, nach erfolgtem Nachweis auch die asymptomatische Mykoplasmen-Infektion therapeutisch zu eradizieren. Darüber hinaus scheint eine Therapiedauer unter fünf Tagen eher zu Resistenzen zu führen, weshalb längere Behandlungsregime zur Anwendung kommen sollten.
Allein in Deutschland finden sich zudem unzählige Ansätze, mit STI-Nachweisen bei PatientInnen umzugehen. So kann es vorkommen, dass eine diagnostizierte, jedoch asymptomatische Infektion in der einen Großstadt mitbehandelt wird, in einer anderen Stadt jedoch nicht. Ebenso gibt es Uneinigkeit darüber, bei welchen PatientInnen wo ein Abstrich genommen werden sollte – anal, oral, vaginal, urethral, pharyngeal?
Was es im zukünftigen STI-Management daher am dringendsten braucht, sind Standards für die Diagnostik und Behandlung dieser Infektionskrankheiten. Aktuell lassen sich beispielsweise über die NAAT STI in verschiedenen Erkrankungsstadien (frühe Infektion, ausgeheilt, Überträger, …) nachweisen, doch obgleich die Infektionen sich in den unterschiedlichen Stadien verschieden verhalten, reagiert die Medizin mit dem immer gleichen Schema darauf, z. B. im Fall der bakteriellen STI erfolgt die Therapie mit Antibiotika.
Therapiestandards würden ferner sicherstellen, dass alle PatientInnen mit der gleichen Infektion deutschlandweit auch eine gleiche, d. h. standardisierte Therapie erhalten. Hinzu kommt die notwendige, jedoch nicht immer einfach zu realisierende flächendeckende Partnerbehandlung nach STI-Diagnose, um Reinfektionen und eine Weiterverbreitung zu erschweren oder sogar zu verhindern. Im Falle der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) kann sich aufgrund deren weit verbreiteten promiskuitiven Verhaltens ein Fall in 12 oder 30 Kontaktfälle weiterentwickeln – sicher keine so einfach in der Praxis zu beherrschende Situation.
Ohne definierte, flächendeckende Standards sind solche Fälle zweifelsohne überhaupt nicht handhabbar. Die STI-Fallzahlen werden jedoch erst dann sinken, wenn möglichst viele STI-Infizierte sehr früh diagnostiziert und auch therapiert werden.
Quelle:
Plattform I "Klinische Streitgespräche – STDs: zunehmend überdiagnostiziert und übertherapiert?", 8. AIDS und Hepatitis Werkstatt, München, 29.03.2019