Knapp zehn Millionen Menschen in Deutschland sind abhängig von Alkohol, Tabak, Medikamenten und illegalen Drogen. Ein kleiner Teil der Suchtkranken schafft es jedoch, auch ohne Hilfe die Abhängigkeit zu überwinden. Wie ihnen dies gelingt, untersucht jetzt der neue überregionale Sonderforschungsbereich (SFB/Transregio) "Verlust und Wiedererlangung der Kontrolle bei Suchterkrankungen: Verläufe, Mechanismen und Interventionen" unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, individuelle Therapien gegen die Sucht zu entwickeln.
Schmerzmedikamente, Rauschmittel, Alkohol und Nikotin haben eines gemeinsam: Ihr hohes Suchtpotenzial bringt viele Millionen Menschen in Deutschland und weltweit in Abhängigkeit. Suchtmittel lösen Wohlbefinden oder Euphorie aus, indem sie das Belohnungssystem im Gehirn aktivieren. Bleibt diese als angenehm empfundene Stimulation aus, kommt es zu einem "Belohnungsdefizit" – wodurch das oft unbezwingbare Verlangen nach der auslösenden Substanz entsteht. Der Wunsch, dem Verlangen nachzugeben, rückt bei Suchtkranken immer mehr in den Mittelpunkt – mit zum Teil gravierenden psychischen, sozialen und körperlichen Auswirkungen: An den Folgen einer Abhängigkeit von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen sterben in Deutschland jedes Jahr mindestens 140.000 Menschen.
"Es gibt aber Suchtkranke, denen es auch ohne therapeutische Hilfe gelingt, die Kontrolle über den Suchtmittelkonsum wiederzugewinnen", sagt Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Charité Mitte und Sprecher des jetzt bewilligten SFB/Transregio. "Von ihnen wollen wir lernen: Welche Mechanismen entwickeln sie, um aus dem Abhängigkeitskreislauf auszubrechen? Dieses Wissen möchten wir anschließend nutzen, um anderen Substanzabhängigen gezielt zu helfen."
Dazu will das Team um Prof. Heinz gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Heidelberg und der Technischen Universität Dresden mithilfe von Apps und anderen mobilen Techniken das Verhalten suchtkranker Personen im Alltag beobachten. Zusätzlich sollen Kognitionstests, Stimmungsabfragen und bildgebende Verfahren Erkenntnisse dazu liefern, wie sich die Entscheidungsfindung und kognitive Kontrolle bei substanzabhängigen Menschen verändern und welche Auswirkungen Suchtreize auf ihr Verhalten haben. "So wollen wir persönliche Stärken und Schwächen der Betroffenen identifizieren und auf dieser Basis individuelle Verhaltenstrainings erarbeiten, die ihnen die Entwöhnung erleichtern", erklärt Prof. Heinz. "Langfristig planen wir die Entwicklung einer App, die die Nutzer warnt, sobald sie die Kontrolle über den Konsum von Suchtmitteln – inklusive Alkohol und Nikotin – verlieren. Die mobile Anwendung soll dann gleichzeitig gezielt Unterstützung anbieten."
Quelle: Charité Berlin