Unsere Lebensweise hat sich durch das Voranschreiten der Digitalisierung in vielerlei Hinsicht gewandelt. Das will Deutschlands einziger Professor für Schlaf- und Telemedizin künftig auch stärker in seinem Fach anwenden. "Wir sollten die digitalen Möglichkeiten auch in der Schlafmedizin nutzen und das als Chance sehen, einen Wandel aktiv mitzugestalten", sagt Prof. Dr. Christoph Schöbel von der Ruhrlandklinik in Essen.
Von welchen telemedizinischen Angeboten profitieren die PatientInnen am meisten, für wen ist was geeignet? Diese Fragen gilt es laut Schöbel in den kommenden Jahren zu ergründen: "Denn Telemedizin kann und soll den Arzt nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Die derzeitig einzige Möglichkeit, die auch finanziert wird – ein weiterer wichtiger Aspekt – ist die Telesprechstunde per Video. Im Herbst 2020 sollen dann die "Apps auf Rezept" als Leistung von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden."
Derzeit werde darüber geforscht, ob man aus den gemessenen Schlafdaten nicht noch mehr herausfiltern könnte? Ließen sich durch Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data aus der Masse der Daten aus dem Schlaflabor Muster erkennen, die für weiterreichende Analysen oder gar Diagnostik bei chronisch kranken PatientInnen genutzt werden könnten? Viele Daten würden derzeit kaum ausgewertet. Diese könne man durch digitale Auswertungen und Methoden der Medizininformatik möglicherweise besser verstehen. Durch bestimmte Algorithmen könnte man vielleicht auch Risikopatienten erkennen. "Wenn wir diese Möglichkeiten jetzt außer Acht lassen, kann es sein, dass die Schlafmedizin den digitalen Wandel verschläft und an Wert verliert. Tracker oder Schlaf-Apps sind aktuell zwar noch nicht wissenschaftlich und klinisch validiert, doch das ist nur eine Frage der Zeit. Denn auch hier steht der Markt nicht still. In ein paar Jahren könnten dann aus getrackten Daten z.B. Schlafstörungen diagnostiziert werden. Das fordert den heutzutage etablierten Diagnostikpfad deutlich heraus. Hier müssen wir mit der Zeit gehen", betont Schöbel.
"Man forscht daran, dass die Messungen im häuslichen Umfeld umfassender möglich werden, weil dort der Schlaf ganz einfach am authentischsten stattfindet. Grundsätzlich sind die Schlaf-Apps deshalb eine vielversprechende Entwicklung in die richtige Richtung, aber sie liefern eben keine Daten, wie sie valide für eine schlafmedizinische Diagnostik notwendig sind", erklärt der Medizinphysiker und Somnologe Dr. rer. medic. Martin Glos, der an der Berliner Charité tätig ist. Die Messgeräte sollten ambulant zusätzlich zu Atmungs- und Herz-Kreislaufparametern zukünftig auch die Schlafstruktur - also die Erfassung der Phasen von Leichtschlaf, Tiefschlaf, Traumschlaf und Wachzeiten - verlässlich erfassen.
Die Forschung befasst sich auch mit kontaktlosen Messmöglichkeiten, etwa mittels einer 3D-Tiefenbildkamera, über Geräuschmessungen, Radartechnologie oder durch computergestützte Auswertung von Bewegungen des Körpers. Auch Atmung und Herzschlags könnten durch Sensormatten auf der Matratze erfasst werden. Zwar nicht vollkommen kontaktlos, aber kleiner, einfacher in der Handhabung und komfortabler wäre etwa ein Kombisensor aus Mikrofron und Druckmesser, den man unterhalb des Kehlkopfes aufklebt, um daraus Atemfluss, Atemanstrengung und Schnarchen zu berechnen oder ein Fingerclip, welcher durch die Messung von Pulskurve, Pulsfrequenz, Sauerstoffsättigung und Bewegung Rückschlüsse auf die Schlafqualität liefert.
"Aktuell bereits einen kompletten Abgesang auf das Schlaflabor anzustimmen, wäre jedoch die falsche Schlussfolgerung. Einerseits sind für eine Reihe von diagnostischen Verfahren die kontrollierten und personellen Bedingungen eines Schlaflabors unerlässlich und andererseits sind komplexe EEG-basierte Messungen technisch noch nicht so ausgereift, um ambulant durchgehend valide Ergebnisse zu erzielen. Das ist jedoch ein wichtiger Teil der verlässlichen Diagnostik und unabdingbar. Aber die Forschungen liefern vielversprechende Ansätze, einen Teil der Patienten zukünftig ausschließlich im häuslichen Umfeld messen zu können", fasst Martin Glos den aktuellen Stand zusammen.
Die digitale DGSM-Jahrestagung findet vom 29.-31.10.2020 statt. Hier wird das Thema in einigen wissenschaftlichen Symposien näher beleuchtet.