Andere Menschen, andere Räume, andere Gerüche - jähe Ortswechsel sind für Demenzkranke absoluter Stress. Was tun, wenn sie wegen einer akuten körperlichen Erkrankung in die Klinik müssen?
An der Wand Fototapete und eine große Uhr, auf dem Tisch Strickgarn, Puzzles und alte Zeitschriften, Schlagermusik – wer das Muster-Patientenzimmer für Demenzkranke im Robert-Koch-Krankenhaus Apolda betritt, kehrt optisch und akustisch zurück in die 1970-er Jahre. Der Effekt ist gewollt. Das Kreiskrankenhaus des Weimarer Landes stellt sich auf eine steigende Zahl von Patienten ein, bei denen neben Lungenentzündung, Herz-Kreislauf-Problemen oder Knochenbruch eine Zweitdiagnose auf dem Einweisungsschein steht: Demenz. Speziell gestaltete Krankenzimmer sind Teil des Konzepts.
"Bei Demenzkranken läuft viel über die Sinne", begründet Physiotherapeut Danny Liebeskind und zeigt auf die Tapete mit einem Getreidefeld. "Das ist für sie etwas Vertrautes." Liebeskind hatte die Idee, eine Arbeitsgruppe in der Klinik zu bilden. Sie besteht seit wenigen Monaten und entwickelt Ideen für demenzfreundliche Patientenzimmer. Elf dieser Räume sollen in der Chirurgie, der Unfallchirurgie, der Inneren Medizin, der Frauenklinik und auf der Intensivstation eingerichtet werden. Krankenhaus-Geschäftsführer Uwe Koch beziffert die dafür notwendigen Investitionen auf 25.000 Euro.
Rund 45.000 überwiegend alte Menschen mit Demenz leben nach Angaben der Alzheimer-Gesellschaft in Thüringen – Tendenz steigend. Die Erkrankung bedeutet nicht nur unwiederbringlichen Erinnerungsverlust. Die Betroffenen können sich demnach auch nicht mehr orientieren, das Sprachvermögen leidet, manche werden aggressiv, viele pflegebedürftig. Besonders schwierig sei es, wenn sie ihre vertraute, Sicherheit gebende Umgebung verlassen müssen – etwa wenn eine Operation im Krankenhaus nötig ist.
"Das ist für sie extremer Stress", erläutert der Psychiater Richard Serfling vom Sophien- und Hufeland-Klinikum Weimar. "Gerade bei Orts- und Situationswechseln können sich Demenzzustände verschärfen." Die Betroffenen seien örtlich und zeitlich desorientiert, unruhig, manche hätten Halluzinationen. "Bei Demenz-Kranken sind das Komplikations- und Unfallrisiko während des Klinikaufenthalts erhöht – etwa wenn sie stürzen und sich verletzen", sagt Sigrid Pommer, Pflegedienstleiterin am Waldklinikum Gera. Grund: Viele Demenzkranke hätten einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Sie verlassen ihr Zimmer in der Klinik, finden nicht zurück, wandern die Gänge auf und ab.
Um besser auf Demenz-Patienten in Allgemeinkrankenhäusern eingehen zu können, hatte das Sozialministerium in Erfurt den Kliniken im aktuellen Thüringer Krankenhausplan ein generelles Demenz-Screening bei alten Patienten empfohlen. Zur Umsetzung kann das Ministerium nichts sagen. Aus Sicht der Alzheimer-Gesellschaft wäre das sinnvoll - wenn daraus auch entsprechende Konsequenzen gezogen würden, also das Personal aufgestockt würde. "Die meisten Kliniken können das gar nicht leisten, bei dem Pflegenotstand", schätzt Marion Langhorst, Beraterin beim Bundesverband der Gesellschaft, ein.
Auf Demenz eingestellt sind in der Regel vor allem Geriatrie-Abteilungen und Psychiatrien. Doch diese finden sich in Thüringen meist nur in größeren Krankenhäusern, darunter in Erfurt, Gera, Jena und Weimar - nicht in einem kleinen Haus wie dem in Apolda. Hier werden jährlich 9.000 Patienten behandelt, knapp acht Prozent haben die Co-Diagnose Demenz. Wie groß das Problem thüringenweit ist, können weder das Sozialministerium noch die Landeskrankenhausgesellschaft und einzelne Krankenkassen beziffern.
Die Alzheimer-Gesellschaft hält auch die Schulung des Personals für den richtigen Umgang mit betroffenen Patienten für erforderlich. Das Helios-Klinikum Erfurt etwa bietet seinen Mitarbeitern nach eigenen Angaben Weiterbildung zum Umgang mit alten und dementen Patienten an. Das Waldklinikum Gera baut gerade ein Netz aus Beauftragten für "demenzsensible Patientenbegleitung" auf. Sie bilden sich in Kursen über Demenz weiter, lernen etwa Symptome zu erkennen und mit einfachen Mitteln zu reagieren, wie Pflegechefin Pommer berichtet.
Eine Schlüsselrolle spiele dabei ein detailliertes Erstgespräch bei der Aufnahme in der Klinik, sagt sie. "Wir fragen Angehörige zum Beispiel nach dem früheren Beruf oder besonders schönen Ereignissen im Leben der Erkrankten – damit das Personal einfühlsam auf sie eingehen kann." Das oft vorgebrachte Argument, dass die Betreuung dementer Patienten im Klinikalltag zeitaufwendiger sei, lässt Pommer nicht gelten: "Freundlichkeit kostet keine Zeit."