Übersterblichkeit von Männern in Deutschland ist auch 2024 noch ein Problem

Männer nehmen seltener an Vorsorgeangeboten teil und leben riskanter. Ein zukunftsgerichteter Ansatz erfordert Veränderungen im gesellschaftlichen Rollenbild und die Integration von Optimismus als Schutzmechanismus für die psychische Gesundheit.

Männergesundheit: Chancen und Risiken

Es ist Zeit, die Awareness für vermeidbare Gesundheitsprobleme bei Personen männlichen Geschlechts zu schärfen und die Früherkennung und Behandlung von Krankheiten bei Männern und Jungen zu fördern. Aktuell laufen diese Faktoren der Männergesundheit noch suboptimal. Doch woran liegt es denn eigentlich, dass Männer "kürzer" leben? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung äußerte sich zum Thema Männergesundheit wie folgt: 

„Im Alltag verhalten sich Männer oft weniger gesundheitsbewusst als Frauen. Traditionelle Männerrollen verhindern eher eine Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für den eigenen Körper und begünstigen die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Männer achten weniger auf den eigenen Gesundheitszustand und nehmen insgesamt seltener an Angeboten zur Gesundheitsförderung teil, die Ernährung ist oft weniger gesund, der Alkoholkonsum ist häufiger riskant.“1

Die Gesellschaft samt ihrer Rollenbilder befindet sich in einem stetigen Wandel. Ist es wirklich möglich geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern so einfach zu begründen? Wie sehen die epidemiologischen Zahlen bzw. die wissenschaftliche Datenlage hierzu aus?

Eine etwas ältere Auswertung der amerikanischen CDC-Daten (Health United States, 2007; American Heart Association, American Obesity Association und American Cancer Society) bestätigte eine damals bereits bekannte Beobachtung: Die Lebenserwartung von Männern fällt gegenüber Frauen geringer aus.  Diese geschlechtsspezifische Ungleichheit ist dabei unabhängig von Geografie oder Ethnie. Männer besitzen zudem eine höhere Morbidität und Mortalität bei koronaren Herzkrankheiten (KHK), Bluthochdruck, Diabetes sowie onkologischen Erkrankungen. Biologische, ethnische und soziokulturelle Faktoren tragen zu diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden erheblich bei. Auf der biologischen Ebene existieren verschiedene Hypothesen hierzu. Bei Frauen liegt ein besserer Schutz vor oxidativem Stress vor und es bestehen kompensatorische Effekte des zweiten X-Chromosoms. Auch spielen die Telomerlänge, eine aktivere weibliche Immunfunktion sowie die schützende Wirkung des Östrogens eine Rolle. Doch lässt sich eine Übersterblichkeit des männlichen Geschlechts nicht allein durch dies begründen.2

Was ist nur los in Deutschland?

Dem Bundesministerium für Gesundheit (Stand: DESTATIS 2023) zufolge liegt die Lebenserwartung von Männern in Deutschland bei 78,3 Jahren (Lebenserwartung Frauen: 83,2 Jahren) und damit unter der Lebenserwartung von Frauen. Es verwundert, dass die letzte Männergesundheitskonferenz vor rund 4 Jahren stattfand (5. Männergesundheitskonferenz am 21. Januar 2020), obwohl eine Förderung der geschlechtsspezifischen Gesundheitsforschung für den Zeitraum 2020-2025 gestattet wurde. Der Themenband des RKI zur "Gesundheitlichen Lage der Männer in Deutschand" ist ebenso bereits gute 10 Jahre alt.3,4 Die Stiftung Männergesundheit stellte sich vor Kurzem zu Recht die Frage "Warum steigt die Lebenserwartung der Männer nicht auf 80+ in Deutschland?".5

Riskantes Lebensalter: 15-29 Jahre

Eine aktuelle Auswertung der Übersterblichkeit des männlichen Geschlechts (verglichen mit dem weiblichen Geschlecht) gibt Auskunft über die wichtigsten Punkte in diesem Bereich. Der Stiftung Männergesundheit zufolge lag im Jahr 2023 die Differenz der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern bei 4,71 Jahren. Leider basiert diese Differenz zum großen Teil auf der vorzeitigen Sterblichkeit von Männern (vor dem 70. Geburtstag):

Bad News und apokalyptische Reiter auf TikTok und Co

Die Stiftung Männergesundheit hat dieses Jahr eine Umfrage mit der – u.a. besonders gefährdeten - Altersgruppe der 14-29-Jährigen durchgeführt (Übersterblichkeit bei 15-19-Jährigen liegt bei 93,04 %). Diese ergab, dass die gesellschaftlichen Krisen und die aktuell in den Medien überpräsente unsichere Weltlage bei dieser Altersgruppe zu einer erhöhten psychischen Belastung führt. 11% der Befragten gaben an, dass sie aufgrund psychischer Störungen in Behandlung seien.5 Die Jugend befindet sich seit der Corona-Pandemie in einem "Krisenmodus". Zu diesem Ergebnis kam auch die Jugendstudie 2024.6 Diese Altersgruppe nutzt auch vermehrt das Videoportal TikTok, das unter anderem in Verdacht steht die Stimmung in Deutschland durch russische Desinformationskampagnen gegen den Westen zu ermöglichen. Am 16.09.2024 schrieb die Tagesschau, dass "interne Dokumente der kremlnahen Agentur SDA" ausgewertet werden konnten. Das Ziel dieser digitalen Kriegsführung war dabei folgendes: "Die Deutschen sollen möglichst viel Angst vor der Zukunft bekommen."7

Kultivierung von Optimismus zum Erhalt einer gesunden Gesellschaft

Ein wichtiger Schritt, um die Gesundheit von Männern und Frauen in diesem vulnerablen Lebensalter zu bewahren ist der Schutz des Gehirns vor der Einwirkung von schlechten Nachrichten. Seit der Corona-Pandemie 2019 hat der Konsum schlechter Nachrichten zugenommen- und das nicht ohne Folgen für die psychische Gesundheit der Gesellschaft. Man kann der Menschheit keine Vorwürfe machen, dass sie lieber schlechte statt gute Nachrichten konsumiert. Dem Drang, negative Nachrichten zu konsumieren, kann nur schwer widerstanden werden. Die Gründe hierfür liegen in der Natur des Menschen selbst.8

"Wir sind evolutionär darauf eingestellt, Gefahren zu erkennen und zu antizipieren, weshalb wir uns durch die ständige Beobachtung von schlechten Nachrichten besser vorbereitet fühlen können" 

Cecille Ahrens, Klinikumsleitung der Transcend Therapy in San Diego (USA)

Das Verfolgen der Nachrichten kann Gefühle von Angst, Traurigkeit und Wut hervorrufen und die Betroffenen in einem "Muster des häufigen Beobachtens" festhalten. Dies wiederum kann mit einer Verschlechterung der Stimmung und einer Zunahme des „Doomscrolling“ führen. Diese Negativspirale kann sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Es ist uns jedoch möglich die psychischen Abwehrkräfte des Gehirns gegen schlechte Nachrichten zu stärken - und zwar durch die Kultivierung von Optimismus. Robin Blades gab 2022 in seiner Publikation eine für unsere Zeit wichtige Information preis. Er stellte den "optimistic bias" vor: Normalerweise filtert der inferiore frontale Gyrus (IFG) des Gehirns selektiv schlechte Nachrichten heraus, wenn er auf der Grundlage neuer Informationen seine Überzeugungen aktualisiert. Dieser "optimistic bias" ist der Grund dafür, dass Menschen dazu neigen, anzunehmen, dass sie länger leben und weniger Unfälle erleiden werden als ihre Altersgenossen. Eine stärkerer "optimistic bias" scheint auch gesundheitliche Vorteile mit sich zu bringen: Optimisten erfreuen sich einer besseren körperlichen und geistigen Gesundheit. Sie sind resilienter als Pessimisten.8

Fazit

Möchte man etwas für die Männergesundheit und gegen die Übersterblichkeit von Männern tun, so fängt all dies auf der mentalen Ebene an. In der heutigen Zeit gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. Medien könnten über positive Entwicklungen in der Forschungswelt oder Fortschritte jeglicher Art berichten. Man könnte versuchen die Ernsthaftigkeit, die seit der Corona-Pandemie auf der Welt lastet auch ab und zu beiseite zu legen und einen positiven Kontakt zu seinem Gegenüber aufzunehmen. Man könnte es mit mehr Empathie versuchen, das Mobiltelefon in der Tasche lassen und Small Talk mit seinen Mitmenschen führen, so wie es früher mal war. „Doomscrolling“ schwächt unseren Zusammenhalt als Gesellschaft und fördert das Gefühl der Einsamkeit. Auf diesem Nährboden entstehen leichter psychische Erkrankungen und es kommt eher zu riskanten Verhaltensweisen. Es ist bewiesen, dass soziales Engagement glücklicher macht und die Gesellschaft stärkt. Die Lebenszeit wäre so auf jeden Fall besser investiert als mit stundenlangem "Doomscrolling".9,10

Quelle:
  1. https://www.bzga.de/was-wir-tun/maennergesundheit/
  2. Pinkhasov RM, et al. Int J Clin Pract. 2010 Mar;64(4):465-74. 
  3. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/frueherkennung-vorsorge/maennergesundheit
  4. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/maennergesundheit.html
  5. https://www.stiftung-maennergesundheit.de/files/SMG/img/Publikationen/Warum%20steigt%20die%20Lebenserwartung%20der%20Männer%20nicht%20auf%2080%2015_10_2024.pdf
  6. https://www1.wdr.de/nachrichten/studie-jugendliche-deutschland-gen-z-afd-102.html
  7. https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/russland-propaganda-fakenews-sda-deutschland-100.html
  8. Blades R. CMAJ. 2021 Mar 22;193(12):E428-E429. https://www.spektrum.de/magazin/ehrenamt-warum-freiwillige-arbeit-gluecklich-macht/1281570#:~:text=Menschen%2C%20die%20sich%20neben%20dem,anderen%20etwas%20Wichtiges%20zu%20schaffen.
  9. https://www.dgpp-online.de/post/selbstlose-hilfe-für-andere-stärkt-die-gemeinschaft-und-die-eigene-physische-und-psychische-konstit