Eine Vorerkrankung der Lunge gilt nach bisheriger klinischer Erfahrung als Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Infektionsverlauf. Trotzdem fanden sich während des Lockdowns kaum Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen unter den hospitalisierten COVID-19-PatientInnen an der Uniklinik Innsbruck. Ein Team von LungenspezialistInnen der Medizinischen Universität Innsbruck hat dieses Phänomen genauer analysiert und dabei via Internet recherchiert.
Zeitgleich mit dem Ausbruch von COVID-19 in Österreich und dem Lockdown von 18. März bis 7. April 2020 verzeichneten die ÄrztInnen an der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Innsbruck einen starken Rückgang von Krankenhausaufenthalten aufgrund von COPD und Asthma. "In erster Linie beobachteten wir im Vergleich zu Vorjahren einen markanten Rückgang der Krankenhausaufenthalte aufgrund von klassischen Lungenentzündungen, während die Rate an COVID-19-assoziierten Krankenhausaufenthalten dramatisch angestiegen ist. Auch die stationären Aufenthalte aufgrund von Influenza waren in diesem Zeitraum stark minimiert", berichten die Lungenspezialisten Alex Pizzini und Ivan Tancevski.
Pizzini und Tancevski untersuchten zusammen mit Sabina Sahanic, Anna Böhm und weiteren KollegInnen an der Universitätsklinik Innsbruck, ob PatientInnen mit Lungenerkrankungen das Krankenhaus bzw. Arztpraxen während des Lockdowns bewusst gemieden und für Informationen zu Risiken, Therapien und akuten Problemen das Internet zu Rate gezogen hatten. Das Team stellte die globalen Suchanfragen nach COVID-19-Risikofaktoren wie Asthma, COPD, Bluthochdruck oder Diabetes zusammen. Die Ergebnisse der Datenanalyse wurden soeben im renommierten European Respiratory Journal veröffentlicht.
Um das Risiko einer Verzerrung zu umgehen, fragten die Forschenden nur Daten von Industrienationen ab, in denen rund 80 Prozent der Bevölkerung das Internet nutzen und die ähnliche Lockdown-Maßnahmen wie Österreich hatten. Demnach hätte es bei den Themen "COPD" und "Asthma" zwischen Ende Februar bis Anfang April dieses Jahres einen signifikanten Anstieg der Abfragen gegeben, erklären Sahanic und Böhm.
Zwar wurden die Themen "ACE-Hemmer" und "Bluthochdruck" bzw. deren Zusammenhang mit schweren COVID-19-Verläufen in den Medien viel häufiger diskutiert als der Risikogehalt von Atemwegserkrankungen, trotzdem ergab die Analyse für die Begriffe "Asthma" und Asthma-assoziierte Medikamente das höchste Suchvolumen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus. "Daraus schließen wir, dass die sozialen Distanzierungs- und Schutzmaßnahmen zusammen mit Selbstmanagement-Empfehlungen im Internet möglicherweise die Krankenhauseintrittsrate bei Patientinnen und Patienten mit Lungenerkrankungen gesenkt haben", resümiert das Team um Tancevski.
Von COPD sind weltweit rund 294 Millionen Menschen betroffen, über drei Millionen sterben pro Jahr daran. Etwa 268 Millionen Menschen leiden weltweit an Asthma. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie hat die "Globale Initiative für chronisch obstruktive Lungenerkrankung" (GOLD) ihr Hauptaugenmerk auf Empfehlungen zur regelmäßigen Anwendung der "Bronchodilatatoren-Erhaltungstherapie" (dabei wird der Tonus der Bronchialmuskulatur gesenkt und eine Weitung der Bronchien bewirkt) gerichtet; auch die Richtlinien der Globalen Initiative für Asthma (GINA) weisen 2020 ausdrücklich darauf hin, dass die Inhalationstherapie, insbesondere die Erhaltungstherapie mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS) während der Pandemie nicht unterbrochen werden soll.
"Auch wenn die persönliche Versorgung und Behandlung nicht ersetzt werden können, sollte eine weitere Verbesserung der digitalen Gesundheitsberatung für PatientInnen mit Asthma und COPD unbedingt forciert werden", so die Forderung der Innsbrucker ÄrztInnen.
Quelle: Assessing self-medication for obstructive airway disease during COVID-19 using Google Trends. doi.org/10.1183/13993003.02851-2020