Erhöhte Cholesterinwerte haben einen großen Einfluss auf die Gefäße und bergen eine erhöhte Gefahr für Arteriosklerose und ihre möglichen Folgeerkrankungen Schlaganfall und Herzinfarkt. Diese können ursächlich durch Grunderkrankungen hervorgerufen werden, der Lebensstil spielt ebenso eine Rolle. Weniger beachtet wird hingegen die erbliche Komponente: Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine oftmals unterdiagnostizierte und unterbehandelte Erkrankung, die tödlich enden kann.
Ein junger Mann, 30 Jahre alt, augenscheinlich gesund, ohne Vorerkrankungen und ohne regelmäßige Medikamenteneinnahmen, Sportler, kommt vom Fußballtraining nach Hause. Während er vor seiner hochschwangeren Frau steht, die ihn freudig begrüßt, fällt er plötzlich leblos um. Seine Frau ruft sofort den Rettungsdienst und beginnt, so gut ihr dies möglich ist, mit der Reanimation. Da der Wohnort im ländlichen Raum liegt, dauert es einige Zeit bis notärztliche Hilfe vor Ort ist. Der Mann wird weiter reanimiert, kann schließlich stabilisiert werden und wird in die Klinik gebracht, wo er sofort untersucht wurde. Was war passiert? Der Mann hatte einen akuten Herzinfarkt erlitten, der auf eine bislang unerkannte genetische Fettstoffwechselstörung zurückzuführen war.
Ein Mann hat folgende, bekannte Familiengeschichte: Sein Vater erlitt den ersten Herzinfarkt mit 40 Jahren. Mit 45 Jahren verstarb er an einem Herzinfarkt. Sein Bruder erlitt ebenfalls mit 40 Jahren einen akuten Myokardinfarkt. Der Mann ist nun selbst 40 Jahre alt, stand bisher unter ärztlicher Kontrolle, wurde aber nicht therapiert, da er weder Symptome zeigte noch sonstige Risikofaktoren aufwies. Plötzlich bekommt er akute Brustschmerzen, geht in die Klinik, wo zunächst der akute Herzinfarkt ausgeschlossen wird. Er wird untersucht, entlassen und für den kommenden Montag wieder einbestellt, da er über ein Herzstolpern geklagt hatte. Der Mann kommt verabredungsgemäß zurück in die Klinik, wo ein EKG veranlasst wird. Auf dem EKG-Tisch wird der Mann plötzlich bewusstlos und hat Kammerflimmern. Er wird sofort effektiv reanimiert und ins Herzkatheterlabor gebracht, wo sich ein kompletter Verschluss der linken Koronararterie zeigt.
Die FH ist eine Erberkrankung, die durch eine Störung des LDL-Stoffwechsels von Geburt an zu sehr hohen Cholesterinwerten führt. Bei der homozygoten Form kann es bereits im Kindesalter zu Herzinfarkten kommen, bei der heterozygoten Form vor dem 55. Lebensjahr. In Deutschland sind ca 270.000 Menschen von dieser Erberkrankung betroffen. Nur zehn Prozent werden jedoch diagnostiziert, von denen wiederum 80 Prozent ihre Behandlungsziele nicht erreichen. Meistens fällt die Erkrankung erst auf, wenn ein akutes Ereignis eintritt - manchmal kann es dann schon zu spät sein. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass Herzinfarkte - bei allem medizinischen Fortschritt - noch immer tödlich verlaufen können. Wichtig ist hier auf Seiten der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, aber auch auf Seiten der Patientinnen und Patienten, die möglicherweise erblich vorbelastet sind, ein Bewusstsein für die Erkrankung zu schaffen und rechtzeitig eine Therapie einzuleiten. Frühzeitige Diagnose und effektive Therapie können die Prognosen deutlich verbessern und das Eintreten von Komplikationen verhindern.
Fettstoffwechselerkrankungen werden mit der Stufentherapie behandelt. Als Basis gelten Lebensstil- und Diätmaßnahmen, wie zum Beispiel Nikotinverzicht, Bewegung und gesunde Ernährung. Statine sind nach wie vor der Goldstandard, im nächsten Schritt Ezetimib, evtl. Gallensäureresorptionshemmer. In bestimmten Situationen kann eine Antikörpertherapie zum Einsatz kommen. Erst als Ultimata Ratio kommt die Lipoproteinpharese in Frage.
Die soeben erschienene neue ESC/EAS-Lipidleitlinie, definiert eine aggressive Lipidtherapie mit sehr niedrigen Zielwerten - "the lower the better". Die Einschätzung des kardiovaskulären Risikos der jeweiligen Patientin oder des jeweiligen Patienten ermöglicht eine personalisierte und individualisierte Therapie mit verschiedenen Therapieintensitäten. Dies dient der Risikoreduktion.
Empfohlen ist auch ein Kaskadenscreening der Verwandten ersten Grades zur Ermittlung des individuellen Risikos und Verbesserung der Prognose. Derzeit gibt es Bemühungen zur Aufklärungsarbeit, wie die Kampagne Check dein Herz. Darüber hinaus wird ein Register mit Kaskadenscreening zur FH in Deutschland derzeit etabliert CaRE High.
Quelle:
Pressekonferenz anlässlich der 4. Deutschen Hormonwoche (14. bis 21. September 2019) der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), 12. September 2019, Berlin. Statement Dr. med. Ulrike Schatz, Dresden