Nach einem schweren Unfall hat Andreas Winklmann seinen linken Arm verloren. Auch wenn es zunächst fast unmöglich schien, gelang es, am Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Regensburg in einem weltweit einzigartigen Verfahren, Schulter und Oberarm so zu rekonstruieren, dass dem Betroffenen nun eine funktionelle Prothese angepasst werden konnte.
Am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) wird das medizinische Personal tagtäglich mit schwersten Erkrankungen und Verletzungen konfrontiert. Das Verletzungsbild von Andreas Winklmann stellte die Ärzte der Plastischen und Ästhetischen, Hand- und Wiederherstellungschirurgie jedoch vor eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Winklmann hatte bei einem Arbeitsunfall seinen linken Arm kurz unterhalb der Schulter verloren.
"Bis auf den Oberarmknochen, und selbst der war abgetrennt, war nichts mehr vorhanden. Muskeln, Sehnen und Nerven waren allesamt bei dem Unfall zerstört worden", beschreibt Thiha Aung, Assistenzarzt, den Zustand, in dem er Andreas Winklmanns Arm nach dem Unfall vor etwa drei Jahren vorgefunden hat. Aung ergänzt: "Es ist für mich eine große Freude zu sehen, dass meine erste Operation nach meinem Start am UKR und drei Jahre intensive Arbeit es ermöglicht haben, Herrn Winklmann einen Teil seiner Lebensqualität zurückzugeben".
Zunächst ging es darum, die Wunde zu versorgen. Als der Stumpf soweit stabil war, dass die Verletzung heilen konnte, stand das Chirurgenteam aber vor der eigentlichen Herausforderung, der Rekonstruktion von Schulter und Oberarm zur Anpassung einer myoelektirschen Prothese. "Mit einer myoelektrischen Prothese gewinnen Patienten zum einen viel an Lebensqualität zurück, da diese ein physiologisches lebensnahes Greifen ermöglicht, zum anderen können dadurch Phantomschmerzen gelindert werden, die bei Betroffenen oft einen enormen Leidensdruck erzeugen", führt Professor Dr. Dr. Lukas Prantl, Leiter des Hochschulzentrums für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, weiter aus.
Da bei Andreas Winklmann aber am Stumpf kein Nerven- und Muskelgewebe mehr vorhanden war, waren die Voraussetzungen für eine Prothese mehr als schlecht. In mehreren komplexen Operationen ist es dem erfahrenen Chirurgen-Team aber gelungen, die Schulterpartie komplett neu aufzubauen, so dass dem Patienten jetzt eine hochmoderne, gedankengesteuerte Armprothese angepasst werden konnte.
Die Schwere der Verletzung zwang die operierenden Mediziner, mit Eigen-Transplantaten von Andreas Winklmann zu arbeiten. "Wir haben von den Innenseiten beider Oberschenkel Haut, Nerven, Sehnen und Muskelansätze entnommen und so Teile des abgetrennten Oberarmes und der Schulter Stück für Stück rekonstruiert", so Dr. Philipp Lamby, Oberarzt im Zentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie. Neben der Konstruktion einer passenden Auflagefläche an Schulter und Oberarm, sollten durch die aufwändigen Eingriffe vor allem die Nervenbahnen wieder verknüpft werden, um eine Signalweiterleitung an das Gehirn zu schaffen.
"Bei der Wiederherstellung der Nervenbahnen mussten wir millimetergenau arbeiten. Denn bei Herrn Winklmanns Prothese handelt es sich nicht um eine rein kosmetische, sondern um eine mechanisch-funktionierende Prothese, die sich durch Gedanken und die damit verbundenen Nervenimpulse steuern lässt", erläutert Aung die Besonderheit dieser Rekonstruktion. "Eine solche Prothese operativ vorzubereiten ist einzigartig, wie die Prothese an sich. Einen solchen Fall gab es in der gesamten medizinischen Welt vorher noch nie", so Dr. Vanessa Brébant, Geschäftsführende Oberärztin am Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie.
Um sicherzustellen, dass durch einen entsprechenden Reiz überhaupt eine Kontraktion des Muskels zustande kommt, die sich auf die Prothese übertragen kann, musste die Platzierung von Nerven, Muskeln und Elektroden der Prothese ganz genau aufeinander abgestimmt sein. "Wir mussten an Schulter und Oberarm das genau passende Gegenstück zum Prothesenschaft erstellen, damit die Impulse auch punktgenau an die Prothese übermittelt werden können", führte Dr. Lamby weiter aus.
Nach den chirurgischen Eingriffen musste Andreas Winklmann in einem langwierigen Reha-Programm lernen, mittels seiner Gedanken die rekonstruierten Nerven und Muskeln zu reizen und so bewusst zu steuern: "Wochenlang bin ich täglich mehrere Stunden vor einem Spiegel gesessen und habe mit dem Spiegelbild meines gesunden rechten Armes versucht, die linke Seite zu aktivieren. Das war sowohl körperlich als auch mental enorm anstrengend."
Zu den schweißtreibenden Trainingseinheiten kamen zusätzlich noch etwa 80 Treffen mit Manfred Stangl, Orthopädietechnikermeister der Firma Zimmermann Sanitäts- und Orthopädiehaus GmbH, um eine individuell passende Armprothese zu konstruieren. "Für uns galt es, die Gedanken von Herrn Winklmann zu einer mechanisch-elektronischen Ausführung zu bringen. Er führt also die Bewegung in Gedanken aus und die Prothese setzt sie um", erklärt Stangl die Herangehensweise.
Alle Anstrengungen seien es aber wert, so Winklmann. Denn alleine das Gefühl, dass der Ärmel einer Jacke oder eines Pullovers nicht mehr lose herunterhänge, sei gut. Auch ansonsten bringt ihm die Prothese eine enorme Erleichterung im Alltag. So kann er mit seinem neuen Arm wieder greifen, halten und mit etwas Übung auch immer mehr feinmotorische Dinge wie etwa ein Getränk einschenken. "Die Prothese suggeriert meinem Körper außerdem, dass ich noch beide Arme habe. Dies ist wohl der beste Effekt, da er die Phantomschmerzen lindert. Man kann sich kaum vorstellen, wie schlimm diese Schmerzen sein können", freut sich Winklmann über sein neu gewonnenes Stück Lebensqualität, auch wenn er die Prothese nicht den ganzen Tag tragen kann, weil es mental sehr ermüdend ist. Nicht nur funktional, auch optisch wurde der neue Arm an Andreas Winklmann angepasst. Denn als eingefleischter Fußball-Fan ziert den Oberarm nun das Logo seines Lieblingsvereins, des FC Bayern München.
"Der Fall von Andreas Winklmann ist die schönste Form der Bestätigung für die Leistungsfähigkeit unseres Zentrums. Zu sehen, wie er heute wieder einen Stift halten oder eine Flasche aufschrauben kann, spornt mich und mein Team in unserer täglichen Arbeit zu Höchstleistungen an", resümiert Professor Prantl.